Hallo erstmal nach der langen Zeit die wir uns nicht gemeldet haben. Wo wir so lange gesteckt haben ohne uns zu melden? Auf einer Ranch im Südwesten Kanadas.
Es ist Mitte April. Hochsaison bei den kalbenden Kühen. Wie jeden Tag steigen wir ersteinmal auf die Quads und drehen mit Ohrenmarken, Spritzen und Tabletten bewaffnet, eine Runde über die große Weide. Die Kühe wurden gerade gefüttert, die Kälber liegen im Heu, manche schlafen tief und fest. Es werden von Tag zu Tag mehr Kälber. Jedes neue Kalb bekommt, sobald wir es finden, eine grüne Ohrmarke mit der Nummer seiner Mutter darauf, eine Tablette in den Magen um Durchfall bzw einem Parasit vorzubeugen und eine Spritze hinters Ohr, um eine Lugenentzündung zu verhindern. Wir fahren umher, schauen ob neue Kälber da sind, verpassen ihnen was sie brauchen, sehen nach ob es allen gut geht, geben Medizin, schauen ob es Waisen gibt und erstatten dann Lars Bericht. Für Lars arbeiten wir die sechs Wochen, die wir auf der Ranch verbringen. Es gibt immer etwas zu tun. Immer wieder tauchen neue Probleme auf. Gerade am Anfang haben wir fast gleichzeitig vier kranke Kälber, die es alle nicht schaffen. Eines von ihnen kommt zum Tierarzt, um herauszufinden, was ihm gefehlt hat. Nachdem sich herausstellt, dass es die Lunge war, bekommen alle Kälber von diesem Zeitpunkt an die Spritze hinters Ohr, die ich schon erwähnt habe. Trotzdem gibt es immer wieder neue Kälber, um die wir uns kümmern müssen. Die einen brauchen extra Medikamente, die anderen sind Waisen und müssen vorerst gefüttert werden, bis sich eine neue Mutter findet. Während wir auf der Weide unsere Runde drehen, ist bei den 100 Kühen die zum ersten Mal ein Kalb bekommen und deshalb extra sind schon wieder ein Notfall. Am Ostersonntag tauchen bei zwei Kühen gleichzeitig Komplikationen auf. Beide bekommen ein Beruhigungsmittel, das sie schläfrig macht. Mit einem Gewehr schießt Lars ihnen den Pfeil mit dem Mittel in Hals oder Hintern, denn die Kühe sind zu wild als dass man sich ihnen auf einen Meter nähern könnte. Dann können wir anfangen, ihnen beim Kalben zu helfen. Eines der Kälber hat ein Bein zurückgeknickt (eigentlich schauen zuerst die beiden Vorderbeine heraus). Nachdem Lars das andere Bein ausgestreckt hat, ist das kleine Kalb schnell auf der Welt. Bei dem anderen dauert es ein bisschen länger. Es ist sehr groß und liegt rückwärts. Lars hat im Laufe der Jahre seine eigene Technik entwickelt die Kühe ruhig zu halten: Nach dem Mittel legt sich die Kuh meist von selbst wieder hin und Lars legt mit dem Traktor eine Heuballe auf sie, sodass sie nicht aufstehen kann. Nachdem das Kalb herausgezogen ist, muss es noch den Helikopter über sich ergehen lassen: Lars befestigt eine Kette an seinen Hinterbeinen und schleudert das Kalb um sich, wie man es mit kleinen Kindern macht zum Spaß macht. Mit dem Unterschied, dass das Kalb um einiges schwerer ist und es um Leben und Tod geht. Beim Herumschleudern soll die Flüssigkeit aus der Lunge gepresst werden, die das Kalb (weil es falsch herum lag und atmen musste bevor der Kopf heraus war) eingeatmet hat. Nach drei Runden fliegt der Schleim heraus und nach weiteren drei Runden legen wir das Kalb kopfüber auf seine Mutter, damit auch wirklich alles ‚raus ist. Entgegen Lars‘ Erwartungen, das Kalb könnte es nicht schaffen oder sei, wenn es es schaffen würde, etwas zurückgeblieben, schafft der Kleine es gut. Die ersten Tage füttern wir die beiden noch. Die beiden Mutterkühe haben durch das Medikament nicht registrieren können, dass sie ein Kalb haben. Irgendwann kommen die Beiden schon, wenn wir nur mit der Milch kommen. Das erste wird später, als es auf der größeren Weide ist, immer noch zu uns kommen um sich ein paar Streicheleinheiten abzuholen, während alle anderen Kälber so schnell wie möglich reißaus nehmen. Dass wir die Kleine böse ins und hinters Ohr gestochen, ihr ein Rohr für eine Tablette und einen Schlauch in den Hals geschoben haben als sie die Flasche noch nicht wollte, scheint sie vergessen zu haben.
Damit ihr erstmal einen kleinen Überblick bekommt: Die Ranch besteht aus 500 Mutterkühen mit ihren nach und nach auf die Welt kommenden Kälbern, 100 Kühen, die zum ersten Mal kalben, etwa 200 Jährlingen und 40 Bullen. Die Kälber und Jährlinge, sowie die Kühe die im Frühjahr nicht gut genug waren oder die über den Sommer nicht trächtig geworden sind, werden im Herbst verkauft. Im Bundeststaat Alberta werden sie auf riesigen Rinderfarmen schlachtreif gefüttert. …und dann geschlachtet. Geführt wird die Ranch größtenteils von Lars. Er ist 50 Jahre alt und arbeitet von früh bis spät. Seine 80jährige Mutter hilft noch immer mit, füttert manchmal Kühe, fährt Traktor und Quad als sei es das Normalste der Welt. Wir haben trotz der sechs Wochen die wir da waren noch immer keine Idee, wie viele verschiedene Fahrzeuge Lars besitzt. Es sind viele. Traktoren, Forstmaschinen, Bagger, LKWs, dazu noch einige Autos und Pickups (viele davon nicht mehr fahrtüchtig), Quads und Dirtbikes – seine Leidenschaft. An seiner Seite ist immer eine seiner beiden Hündinnen, die auch beim Treiben der Kühe helfen. Wir sind während der ganzen Zeit bei Lars‘ Bekannten, Christiane, untergebracht, die ein Restaurant führt und Zimmer für Gäste anbietet. Wir werden, solange sie da ist, von vorne bis hinten versorgt.
Es gibt jeden Tag etwas anderes um das man sich kümmern muss. Manchmal finden wir Kälber, die von ihrer Mutter im Stich gelassen wurden. Bei manchen wissen wir die jeweilige Mutter anhand der Ohrmarke des Kalbs. Dann suchen wir sie unter den 499 anderen Kühen anhand der Beschreibung die wir in unserem kleinen Buch hinterlassen haben, als wir dem Kalb eine Ohrmarke gegeben haben. Manchmal finden wir die Kuh auf der Suche nach ihrem Kalb. Dann bekommt es eine Mitfahrgelegenheit auf dem Quad bis zu seiner Mutter. Manchmal nimmt die Kuh das Kalb nicht mehr an, manchmal schon. Es gibt aber auch Kühe, die sich einfach für ein anderes Kalb entschieden haben. Dann versuchen wir die Mutter des neuen Kalbes ausfindig zu machen, um herauszufinden, warum sie ihr Kalb nicht mehr hat und ob sie als Adoptivmutter für das Waisenkalb in Frage käme. Einmal endet unsere Suche an einem kleinen Bach. Die Kuh liegt tot auf dem Rücken. Es gilt, eine neue mögliche Mutter für das Waisenkalb zu finden. Sterben Kälber und wir wissen wer die Mutter ist, wird sie versucht zu überzeugen, das Kalb zu nehmen. Lars hat auch hier verschiedene Möglichkeiten auf Lager. Meistens bekommt sie zuerst einen Schlafpfeil, in der Hoffnung dass sie beim Aufwachen das Kalb als ihres annimmt. Ein paar Mal funktioniert das, wenige Male nicht. Dann wird die Kuh entweder ziehen gelassen oder sie bekommt (wenn auch der zweite und dritte Pfeil ihre Meinung nicht ändern konnte), die Hinterbeine zusammengebunden, sodass sie das Kalb nicht mehr treten kann. Als wir die Beine nach etwa drei Tagen wieder befreien, treten beide Kühe, die dieser Behandlung unterzogen wurden, nicht mehr. Es gibt aber auch noch eine dritte Variante, die nur dann funktioniert, wenn die jeweilige Kuh an ihrem toten Kalb noch Interesse zeigt. Dann wird das tote Kalb gehäutet und dem Waisenkalb die Haut des toten Kalbes übergezogen. Als wir dies das zweite Mal machen können wir unseren Augen kaum trauen. Die Kuh beäugt uns misstrauisch als wir die Beine des Waisenkalbs durch das Fell ihres toten Kalbes (das nur 5m entfernt liegt und das sie gerade beschnuppert hat) stecken und diese festziehen. Gespannt lassen wir das Kalb los, das sich wie selbstverständlich auf den Weg zu der Kuh macht. Es hat Hunger. Die letzten Tage gab’s nur Pulvermilch. Die Kuh beschnuppert das Fell des Kalbes und beginnt dann es abzuschlecken, während das Kalb seelig an ihrem Euter zu saugen beginnt. Wir staunen nicht schlecht.
Wir kümmern uns allerdings nicht nur um die Kälber. Auch die Kühe müssen versorgt und kontrolliert werden. Ein paar Mal darf ich sie mit dem Traktor füttern gehen. Es dauert ein bisschen, bis ich die richtigen Hebel betätigen kann und die Ballen richtig gepackt und ausgerollt kriege. Bei den erstrn zwei Ballen fogen mir bestimmt 300 Kühe, die sich auf Futter freuen. Auch bei ihnen gibt es Probleme. Eines Morgens finden wir eine Kuh tot auf dem Rücken liegend. Sie hat sich in eine kleine Mulde gelegt und kam nicht mehr hoch. Andere haben Probleme mit dem Euter. Ihre Zitzen hängen so tief, dass ihre Kälber sie nicht finden. Sie bringen wir in einen der Koralls und versuchen ihren Kälbern, während die jeweilige Kuh in einer „Squeeze“ steht, in der sie am Kopf festgehalten und von rechts und links eingequetscht wird, beizubringen, alle vier Zitzen zu finden…
Eines Tages sehen wir eine Kuh auf der Weide, die irgendetwas Rundes herauspresst. Als sie aufsteht, verschwindet es wieder. Lars erklärt uns, dass es die Gebärmutter ist. Es gibt selten Kühe, die nach der Geburt ihres Kalbes nicht aufhören zu pressen und so lange weitermachen, bis die ganze Gebärmutter heraushängt. Eine Woche später sehen wir sie dann mit der etwa volleyballgroßen Gebärmutter heraushängend herumlaufen. Es ist an der Zeit etwas zu tun. Sie bekommt das Schlafmittel und wird dann mehr oder weniger kopfüber an ihrer Hüfte an den Traktor gehängt. Dann geht’s ans Gebärmutter waschen. Es riecht unangenehm, man sieht genau wo sie ihren Schwanz hatte, denn daneben haben die Raben große Löcher in das Gewebe gefressen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlen muss. Nachdem sie gewaschen ist, muss dir Gebärmutter wieder an ihren alten Platz zurück. Lars erklärt uns, dass man es vorsichtig machen muss, wie wenn man einen Brotteig knete, damit man sie nicht einfach durchstößt. Zum Schluss wird der Ausgang zugenäht, damit sie keine Möglichkeit hat, die Gebärmutter wieder herauszupressen. Für die nächste Woche gibt es Antibiotika. Und die Kuh überlebt tatsächlich. Ich kann es kaum glauben. Die Raben haben ein richtig großes Loch in das Gewebe gepickt und die Kuh ist stark genug, das zu überleben.
Die Raben, Krähen und Adler sind die ersten, die da sind, wenn es etwas gibt. Sie verraten uns, wenn irgendwo eine tote Kuh oder ein totes Kalb liegt. Manchmal finden wir Kälber mit ausgepickten Füßen, einmal glauben wir ein totes Kalb gefunden zu haben. Die Augen sind ausgepickt, ein großes Loch klafft an seinem Hinterteil. Doch grausamerweise atmet es noch. Lars erzählt uns, dass auch Kojoten oder Wölfe manchmal bei der Geburt an das Kalb gehen, die Zunge, die Schnauze oder auch die Ohren abfressen. Zum Glück ist soetwas nicht passiert, solange wir da waren.
Wir haben jeden Tag alle Hände voll zu tun. Meistens stehen wir erst zwischen 8:30 und 9:30 auf, weil wir am Vortag bis es dunkel wurde gearbeitet haben. Das heißt am Anfang bis 20:45, gegen Ende bis 21:30, manchmal auch länger, wenn es noch einen Notfall gab. Und obwohl wir so viel arbeiten, wird die Arbeit nicht weniger. Jeden Tag gibt es neue Probleme, neue kranke- oder Waisenkälber. Wir müssen zusehen wie uns die Kälber unter den Händen wegsterben, weil die Medikamente nicht genug Zeit hatten, anzuschlagen. Es ist zuweilen frustrierend und deprimierend, doch es gibt auch immer wieder Lichtblicke, wenn zum Beispiel ein Waisenkalb von einer Kuh angenommen wird oder wenn ein krankes Kalb sich langsam wieder erholt. Wir lernen eine Menge in der Zeit in der wir bei Lars sind. Über Kühe und Kälber, das Kalben, das Verabreichen von Medizin, wir basteln zwei verschiedene Schienen für Kälber mit gebrochenen Beinen, wir lernen Quad und Traktor fahren, Zaun zu bauen, Kälber einzufangen und ihnen Ohrmarken zu geben, zu erkennen, wenn etwas nicht stimmt und sie krank sind usw. Es ist eine anstrengende und fordernde Zeit doch sie ist auch extrem lehrreich und macht Spaß.
Als Abwechslung gehen wir an einem Tag zu einem Kanurennen. Allerdings nicht zum Zuschauen sondern zum Mitfahren. Eigentlich kam Lars nur auf die Idee, weil Lea gerudert ist. Lea ist 19 und ist schon zum zweiten Mal hier. Sie weiß wie alles läuft und ist besonders am Anfang eine Orientierung und ein Anhaltspunkt für uns, denn Lars kommuniziert eher wenig und man muss erst ein Gefühl dafür bekommen, wann man was macht. Doch sie ist nicht nur unser Anhaltspunkt, sondern auch sie wird schnell zu einer Freundin. Wir arbeiten viel zusammen und verstehen uns sehr gut. Doch zurück zum Kanurennen. Zwei Wochen vorher denkt Lars darüber nach, mitzufahren, drei Tage vorher sitzen wir zum ersten Mal im Kanu und paddeln ein bisschen über den See vor der Haustür. Lars und Lea in dem einen, Johann und ich in dem anderen Boot. Wir stellen uns auf ein Rennen von 8 Km. ein. Das war Lars‘ Angabe und das müsste man ohne Training ja irgendwie schaffen, dachten wir. Etwa vier Stunden vor Beginn des Rennens erfahren wir, dass es 27 Km. sind. Aber für eine kurzfristige Absage ist es bereits zu spät und die Kanus sind ja auch schon im Pferdetransporter vestaut.Johann Handy:
Des Weiteren sollte das wochenlange Training ja auch nicht umsonst gewesen sein. 😉
Am Startpunkt angekommen treffen wir auf die anderen Teilnehmer und deren Boote. Teilweise sehr professionell aussehende Männer machen ihre Kanus rennfertig, während weniger professionelle Menschen, also wir, unsere Boote aus vollkommen verdreckten Viehanhänger ziehen und am Ufer platzieren. Lars, in einer Sportuniform aus den 60ern steckend, führt die ersten taktischen Gespräche mit den Kontrahenten. Er hat sich nämlich vorgenommen, das Rennen zu gewinnen und sich dafür extra neue Kajakpaddel gekauft, die er sogar benutzen darf. Auch hat er wenige Tage vorher bereits Trockenübungen gemacht, über Biberdämme zu steigen. Kurz bevor das Rennen dann startet, sagt einer der Gegner noch zu Lars, dass er ja ein bisschen Kühe vom Boot aus kontrollieren könne. Und dann geht es auch los. Wir kommen gut ins Wasser, währen Lars und Lea hinter uns beinahe kentern. Zunächst geht es über einen See und dann in einen Bach. Immer wieder kommen wir an Checkpoints vorbei, an denen unsere Zeit notiert wird. Nach dem ersten Checkpoint kommt eine Portage, d.h. man muss mit dem Kanu etwa einen Kilometer durch den Wald laufen, um dann wieder in den Fluss zu steigen. Doch leider gibt es keinen Weg und wir verirren uns zwischen den Bäumen, während Lars und Lea uns bereits überholt haben. Wir sind verzweifelt, dass wir schon so früh so viel Zeit verlieren, kommen dann jedoch an ein Haus, vor dem ein älterer lesender Mann sitzt, den wir nach dem Weg zum Fluss fragen. Er beäugt uns etwas misstrauisch und zeigt dann wortlos nach links, als ob er noch nie jemand mit einem Kanu auf dem Kopf durch den Wald auf der Suche nach einem Fluss hat laufen sehen. Tatsächlich finden wir den Fluss recht schnell und es geht paddelnd weiter. Wir wissen, dass wir nicht die letzten sind, da wir ein weiteres Paar im Wald gesehen hatten, die vor einem Moor standen und nicht weiterkamen. Schnell überholen wir zwei Männer und kurz darauf zwei weitere, die sich gerade bei einer Pause einen Joint gegönnt haben. Der Fluss ist sehr schön. Mal breit und mit Gräsern überwuchert und mal schnell fließend und schmal mit vielen Kurven. Immer wieder müssen wir aussteigen, um über Biberdämme, Felsen oder umgestürzte Bäume zu steigen. Wir sind klatschnass und fertig, als wir irgendwann im Ziel ankommen. Nach 4 Stunden und 50 Minuten sind wir da. Eineinhalb Stunden nach dem ersten Team und insgesamt auf dem 8. Platz von 14. Wir sind zufrieden und Lars und Lea, die auf dem 5. Platz gelandet sind, auch, obwohl keiner das Prewigeld von umgerechnet 1000€ gewonnen hat.
Ein paar Tage bevor wir gehen haben wir dann unseren ersten Tag frei. Am Morgen helfen Lea und ich noch Kühe treiben, dann fahren wir mit dem Auto zum 280 Km. entfernten Fjord bei Bella Coola. Der Ort selbst ist winzig und nicht sonderlich attraktiv, doch alleine die Fahrt lohnt sich schon. Zu Beginn war alles noch trübe und kalt. Bis Ende April hat es noch ab und zu geschneit, auch wenn der Schnee nicht liegen geblieben ist. Dann wurde es fast schlagartig warm. Plötzlich hatten wir über 20ºC Grad. Das grüne Gras und die grünen Blätter kamen allerdings erst spät, jedoch auch plötzlich. Nun, auf unserem Weg nach unten, geht es erst noch weiter hoch, es ist wieder kahl, wir fahren durch eine einsame Landschaft voll verkohlter Baumstämme des letzten Feuers. Doch als wir dann nach unten kommen, erwartet uns ein ganz anderes Bild. Alles ist grün, wirklich alles. Der Wald strahlt nur so von dem frischen Grün des Frühlings. Es fühlt sich an als wären wir an einem ganz anderen Ort, in einem anderen Land. Wir sehen auf unserer Hinfahrt zwei Schwarzbären, die sich über das frische Gras hermachen. Er steht direkt neben dem Highway, nur 5m. entfernt und lässt sich nicht von uns stören. Wir stehen bestimmt fünf Minuten da, beoachten ihn fasziniert und machen Fotos. Wir zelten über Nacht an einem Fluss, aus dem Johann uns drei Fische angelt. Als wir uns am nächsten Morgen auf den Rückweg machen, scheuchen wir nur etwa einen Kilometer von unserem Zeltplatz entfernt einen Grizzly auf, der sich daraufhin schnell in die Bäume flüchtet. Auch auf dem Rückweg sehen wir nochmal zwei Schwarzbären…
Auch wenn wir meistens mit den Kühen beschäftigt sind, gibt es auch noch anderes, was wir erleben: Noch vor Ostern, also Anfang April, gibt es das erste Feuer, nur etwa 7 Km. entfernt: Wir arbeiten noch mit den Kälbern, als wir Rauchwolken sehen. Als dann ein Auto hält und Lars erzählt, der im Sommer auch als Feuerwehrmann tätig ist, dass es an der Straße brennt, fahren wir gemeinsam mit den Quads zur Stelle. Und tatsächlich brennt der gesamte Hang neben der Straße. Wir bekommen Schaufeln in die Hand gedrückt und versuchen die Ränder des Brandes zu beaufsichtigen und werfen brennende Stücke, die außerhalb Feuer gefangen haben, ins Feuer. Es ist Ostern und der Brand ist bei alkoholbeeinflussten Feierlichkeiten ausgebrochen. Immer mehr Helfer kommen und so langsam bekommen wir das Feuer in den Griff. Einer der Helfer ist etwas betrunken. In der einen Hand hält er eine Schaufel und in der anderen eine Dose Bier. Hätte er noch die andere Hand frei, würde er in beiden Händen Bier halten, ruft er uns fröhlich zu, während er mit der Schaufel im Feuer herumstochert.
Alkohol spielt hier generell eine bedeutende Rolle. Das Restaurant, in dem wir wohnen, hat einen Laden, in welchem es Alkohol zu kaufen gibt und der die Haupteinnahmequelle des Hauses darstellt. Jeden Tag werden hier palettenweise Bier, Wodka und Mischgetränke verkauft. Oft sind es die selben Kunden und meistens sind sie bereits betrunken wenn sie kommen. Immer wieder muss man vollkommen sinnlose Gespräche mit ihnen führen und einer wollte mich (Johann) immer umarmen und hat mich als sein „Babe“ auserkoren. Was lustig klingt, ist eigentlich sehr traurig. Lars kann unzählige Geschichten erzählen, von Leuten, die morgens um 6 zur Arbeit gehen und dort ihren ersten Alkohol zu sich nehmen, abends von der Arbeit kommen und bis um 4 Uhr morgens weitertrinken, bis sie noch zwei Stunden Schlaf haben. Und das jeden Tag! Auch erzählt er uns von Morden in der Nachbarschaft, die durch den Alkohol oder gerade ddeswegen passiert sind. Viele dieser Leute sind indigen. Sie leben in umliegenden Reservaten, bekommen wohl Haus und Auto, sowie eine monatliche Rente vom Staat bezahlt, das dann oftmals im Alkohol endet, den sie auch noch vergünstigt bekommen. Die Perspektivlosigkeit in der indigenen Bevölkerung scheint groß und der Alkoholkonsum noch größer. Das ist meines Erachtens jedoch vor allem ein Versagen des Staates, der meint, die Leute wären entschädigt und glücklich, wenn man sie mit materiellen Dingen bereichert, anstatt mit Perpektiven. Die großen Fehler, die vor gar nicht allzu langer Zeit begangen wurden, sind eben nicht nur mit Geld und auf die Schnelle wieder gut zu machen.
Wir sind da, bis die Kälbersaison vorbei ist. Es sind noch nicht alle Kälber auf der Welt, aber etwa 450 von 600. Alle anderen werden draußen geboren. Für die Kühe ist es an der Zeit, die große Wiese zu verlassen und den Sommer über frei durch die Gegend zu ziehen. Doch davor müssen die Kälber noch gekennzeichnet werden. Jedes Kalb bekommt ein Brandzeichen, einen gelben Punkt ins Ohr (den brauchen sie nachher, wenn sie verkauft werden), eine Impfung, der Großteil der kleinen Bullen wird kastriert, wenn ein Kalb Hörner hat, werden diese ausgebrannt, die Kälber bekommen, wenn nötig, Medizin. Es ist nicht ganz so schlimm wie bei den Jährlingen, die wir ein paar Tage vorher für den Sommer vorbereitet haben. Auch bei ihnen musste gebranntmarkt, kastriert und enthornt werden. Der Unterschied zu den Kälbern ist, dass deren Hörner „nur“ ausgebrannt werden müssen. Bei den Jährlingen mussten sie erst abgesägt und dann ausgebrannt werden. Würden sie ihre Hörner behalten, würde Lars pro Tier etwa 50-100 Kanadische Dollar weniger bekommen… Schon während dem Sägen begann das Blut zu laufen und sobald das Horn ab war, sprühte es bei manchen regelrecht hervor. Dann musste so lange gebrannt werden, bis es nicht mehr blutete. Kühe sind ja ziemlich hart im Nehmen und Schreien nur wenn es gar nicht mehr geht. Beim Enthornen haben einige der Jährlinge mit den Zähnen geknirscht um nicht zu schreien und dann ging es doch nicht anders und sie haben geschrien. Ich werde wahrscheinlich nie vergessen wie sie geschrien haben. Lea, Johann und mir ist es erstmal ganz anders geworden. Es hat ein paar Male gebraucht, bis wir uns an das Prozedere einigermaßen gewöhnt hatten. Es ist erschreckend, wie schnell man sich an so etwas gewöhnt. Es war mir zwar schon vorher klar, jetzt allerdings noch mehr: Falls ich mal Kühe haben sollte: ihre Hörner kommen nicht ab!
Zwei der Kälber sterben direkt nach der Behandlung mit glühendem Eisen, Ohrmarke und Medizin. Sie haben eine Medizin gebraucht, die ihnen direkt in den Magen gegeben werden muss. Da sie aber während dem ganzen Prozess auf der Seite liegen (sie laufen in ein Gestell, in dem man sie einklemmen und dann auf die Seite drehen kann), haben diese beiden die Flüssigkeit wahrscheinlich in die Lunge bekommen, weil es im Liegen passieren kann, dass man dem Kalb den Schlauch versehentlich in die Luft- anstatt in die Speiseröhre schiebt. Insgesamt haben wir in der Zeit 25 Kälber verloren, zwei wegen diesem Versehen, einige weil sie krank wurden, wenige wurden zu früh und deshalb tot geboren und es gab ein paar, die direkt nach oder bei der Geburt gestorben sind. Eines der Kälber war so groß, dass die Kuh es alleine nicht geschafft hat und selbst Lars hatte trotz eines speziellen Hilfgeräts Schwierigkeiten, das Kalb herauszuziehen. Er musste so sehr ziehen, dass die Kuh nachher kaum aufstehen konnte. Das Kalb hatte den Kopf geschwollen und war tot, als es dann da war. Was mich allerdings am meisten beschäftigt hat, war dieses komische Gefühl, das ich immer dann hatte, wenn wir um das Leben eines Kalbes gekämpft haben. Für mich war es ein Stück weit egal, ob es überlebte oder nicht, es wird, denn früher oder später muss es sterben. In einem dreiviertel Jahr als Kalb, in zwei Jahren als eines, das als Jährling behalten wurde oder später, wenn es als Kuh nicht mehr taugt. Früher oder später muss es sterben, eher auf der Schlachtbank als draußen. Wir haben alles getan, um diese Kälber am Leben zu halten. Für was? Um sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu töten. Ich verstehe, dass das Geld den Unterschied macht, dass es der Grund ist, weshalb das Kalb nicht sterben darf und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hat mich der Tod der Kälber weniger beschäftigt als der irgendwie sinnlos erscheinende Kampf um ihr Überleben.
An unserem letzten Tag hat Lea noch eine Überraschung für mich. Ich wollte so gerne mal wieder reiten, leider gab es in der Zeit in der wir da waren allerdings nie eine Arbeit, die man mit dem Pferd hätte machen müssen. Und so nimmt sie mich am Abend auf einen Ausritt mit. Gerade zum richtigen Zeitpunkt erreichen wir ein kleines Plateau oberhalb des Tatla Lake. Der See liegt vollkommen ruhig unter uns. Wir sehen über die grünen Wiesen zu den Bergen, deren Spitzen von der untergehenden Sonne in wunderschönes Licht getaucht werden. Wir genießen den Moment, bevor wir wieder zurückreiten, erst langsam, dann jagen wir im fliegenden Galopp über die Wiese, bevor wir noch ein paar Kühe, die wieder zurückgekommen sind, den Hang hinauftreiben. Es ist ein schöner Abschluss einer intensiven und auch zuweilen anstrengenden Zeit, in der wir unglaublich viel Neues gesehen und gelernt haben.
Viele liebe Grüße,
Johann und Rebecca
(Rebecca und Johann)
P.s. Zu den Bildern sind wir diesmal leider nicht mehr gekommen, die kommen demnächst nach. 🙂