Auf einer Ranch im wilden Westen

Hallo erstmal nach der langen Zeit die wir uns nicht gemeldet haben. Wo wir so lange gesteckt haben ohne uns zu melden? Auf einer Ranch im Südwesten Kanadas.

Es ist Mitte April. Hochsaison bei den kalbenden Kühen. Wie jeden Tag steigen wir ersteinmal auf die Quads und drehen mit Ohrenmarken, Spritzen und Tabletten bewaffnet, eine Runde über die große Weide. Die Kühe wurden gerade gefüttert, die Kälber liegen im Heu, manche schlafen tief und fest. Es werden von Tag zu Tag mehr Kälber. Jedes neue Kalb bekommt, sobald wir es finden, eine grüne Ohrmarke mit der Nummer seiner Mutter darauf, eine Tablette in den Magen um Durchfall bzw einem Parasit vorzubeugen und eine Spritze hinters Ohr, um eine Lugenentzündung zu verhindern. Wir fahren umher, schauen ob neue Kälber da sind, verpassen ihnen was sie brauchen, sehen nach ob es allen gut geht, geben Medizin, schauen ob es Waisen gibt und erstatten dann Lars Bericht. Für Lars arbeiten wir die sechs Wochen, die wir auf der Ranch verbringen. Es gibt immer etwas zu tun. Immer wieder tauchen neue Probleme auf. Gerade am Anfang haben wir fast gleichzeitig vier kranke Kälber, die es alle nicht schaffen. Eines von ihnen kommt zum Tierarzt, um herauszufinden, was ihm gefehlt hat. Nachdem sich herausstellt, dass es die Lunge war, bekommen alle Kälber von diesem Zeitpunkt an die Spritze hinters Ohr, die ich schon erwähnt habe. Trotzdem gibt es immer wieder neue Kälber, um die wir uns kümmern müssen. Die einen brauchen extra Medikamente, die anderen sind Waisen und müssen vorerst gefüttert werden, bis sich eine neue Mutter findet. Während wir auf der Weide unsere Runde drehen, ist bei den 100 Kühen die zum ersten Mal ein Kalb bekommen und deshalb extra sind schon wieder ein Notfall. Am Ostersonntag tauchen bei zwei Kühen gleichzeitig Komplikationen auf. Beide bekommen ein Beruhigungsmittel, das sie schläfrig macht. Mit einem Gewehr schießt Lars ihnen den Pfeil mit dem Mittel in Hals oder Hintern, denn die Kühe sind zu wild als dass man sich ihnen auf einen Meter nähern könnte. Dann können wir anfangen, ihnen beim Kalben zu helfen. Eines der Kälber hat ein Bein zurückgeknickt (eigentlich schauen zuerst die beiden Vorderbeine heraus). Nachdem Lars das andere Bein ausgestreckt hat, ist das kleine Kalb schnell auf der Welt. Bei dem anderen dauert es ein bisschen länger. Es ist sehr groß und liegt rückwärts. Lars hat im Laufe der Jahre seine eigene Technik entwickelt die Kühe ruhig zu halten: Nach dem Mittel legt sich die Kuh meist von selbst wieder hin und Lars legt mit dem Traktor eine Heuballe auf sie, sodass sie nicht aufstehen kann. Nachdem das Kalb herausgezogen ist, muss es noch den Helikopter über sich ergehen lassen: Lars befestigt eine Kette an seinen Hinterbeinen und schleudert das Kalb um sich, wie man es mit kleinen Kindern macht zum Spaß macht. Mit dem Unterschied, dass das Kalb um einiges schwerer ist und es um Leben und Tod geht. Beim Herumschleudern soll die Flüssigkeit aus der Lunge gepresst werden, die das Kalb (weil es falsch herum lag und atmen musste bevor der Kopf heraus war) eingeatmet hat. Nach drei Runden fliegt der Schleim heraus und nach weiteren drei Runden legen wir das Kalb kopfüber auf seine Mutter, damit auch wirklich alles ‚raus ist. Entgegen Lars‘ Erwartungen, das Kalb könnte es nicht schaffen oder sei, wenn es es schaffen würde, etwas zurückgeblieben, schafft der Kleine es gut. Die ersten Tage füttern wir die beiden noch. Die beiden Mutterkühe haben durch das Medikament nicht registrieren können, dass sie ein Kalb haben. Irgendwann kommen die Beiden schon, wenn wir nur mit der Milch kommen. Das erste wird später, als es auf der größeren Weide ist, immer noch zu uns kommen um sich ein paar Streicheleinheiten abzuholen, während alle anderen Kälber so schnell wie möglich reißaus nehmen. Dass wir die Kleine böse ins und hinters Ohr gestochen, ihr ein Rohr für eine Tablette und einen Schlauch in den Hals geschoben haben als sie die Flasche noch nicht wollte, scheint sie vergessen zu haben.

Damit ihr erstmal einen kleinen Überblick bekommt: Die Ranch besteht aus 500 Mutterkühen mit ihren nach und nach auf die Welt kommenden Kälbern, 100 Kühen, die zum ersten Mal kalben, etwa 200 Jährlingen und 40 Bullen. Die Kälber und Jährlinge, sowie die Kühe die im Frühjahr nicht gut genug waren oder die über den Sommer nicht trächtig geworden sind, werden im Herbst verkauft. Im Bundeststaat Alberta werden sie auf riesigen Rinderfarmen schlachtreif gefüttert. …und dann geschlachtet. Geführt wird die Ranch größtenteils von Lars. Er ist 50 Jahre alt und arbeitet von früh bis spät. Seine 80jährige Mutter hilft noch immer mit, füttert manchmal Kühe, fährt Traktor und Quad als sei es das Normalste der Welt. Wir haben trotz der sechs Wochen die wir da waren noch immer keine Idee, wie viele verschiedene Fahrzeuge Lars besitzt. Es sind viele. Traktoren, Forstmaschinen, Bagger, LKWs, dazu noch einige Autos und Pickups (viele davon nicht mehr fahrtüchtig), Quads und Dirtbikes – seine Leidenschaft. An seiner Seite ist immer eine seiner beiden Hündinnen, die auch beim Treiben der Kühe helfen. Wir sind während der ganzen Zeit bei Lars‘ Bekannten, Christiane, untergebracht, die ein Restaurant führt und Zimmer für Gäste anbietet. Wir werden, solange sie da ist, von vorne bis hinten versorgt.

Es gibt jeden Tag etwas anderes um das man sich kümmern muss. Manchmal finden wir Kälber, die von ihrer Mutter im Stich gelassen wurden. Bei manchen wissen wir die jeweilige Mutter anhand der Ohrmarke des Kalbs. Dann suchen wir sie unter den 499 anderen Kühen anhand der Beschreibung die wir in unserem kleinen Buch hinterlassen haben, als wir dem Kalb eine Ohrmarke gegeben haben. Manchmal finden wir die Kuh auf der Suche nach ihrem Kalb. Dann bekommt es eine Mitfahrgelegenheit auf dem Quad bis zu seiner Mutter. Manchmal nimmt die Kuh das Kalb nicht mehr an, manchmal schon. Es gibt aber auch Kühe, die sich einfach für ein anderes Kalb entschieden haben. Dann versuchen wir die Mutter des neuen Kalbes ausfindig zu machen, um herauszufinden, warum sie ihr Kalb nicht mehr hat und ob sie als Adoptivmutter für das Waisenkalb in Frage käme. Einmal endet unsere Suche an einem kleinen Bach. Die Kuh liegt tot auf dem Rücken. Es gilt, eine neue mögliche Mutter für das Waisenkalb zu finden. Sterben Kälber und wir wissen wer die Mutter ist, wird sie versucht zu überzeugen, das Kalb zu nehmen. Lars hat auch hier verschiedene Möglichkeiten auf Lager. Meistens bekommt sie zuerst einen Schlafpfeil, in der Hoffnung dass sie beim Aufwachen das Kalb als ihres annimmt. Ein paar Mal funktioniert das, wenige Male nicht. Dann wird die Kuh entweder ziehen gelassen oder sie bekommt (wenn auch der zweite und dritte Pfeil ihre Meinung nicht ändern konnte), die Hinterbeine zusammengebunden, sodass sie das Kalb nicht mehr treten kann. Als wir die Beine nach etwa drei Tagen wieder befreien, treten beide Kühe, die dieser Behandlung unterzogen wurden, nicht mehr. Es gibt aber auch noch eine dritte Variante, die nur dann funktioniert, wenn die jeweilige Kuh an ihrem toten Kalb noch Interesse zeigt. Dann wird das tote Kalb gehäutet und dem Waisenkalb die Haut des toten Kalbes übergezogen. Als wir dies das zweite Mal machen können wir unseren Augen kaum trauen. Die Kuh beäugt uns misstrauisch als wir die Beine des Waisenkalbs durch das Fell ihres toten Kalbes (das nur 5m entfernt liegt und das sie gerade beschnuppert hat) stecken und diese festziehen. Gespannt lassen wir das Kalb los, das sich wie selbstverständlich auf den Weg zu der Kuh macht. Es hat Hunger. Die letzten Tage gab’s nur Pulvermilch. Die Kuh beschnuppert das Fell des Kalbes und beginnt dann es abzuschlecken, während das Kalb seelig an ihrem Euter zu saugen beginnt. Wir staunen nicht schlecht.

Wir kümmern uns allerdings nicht nur um die Kälber. Auch die Kühe müssen versorgt und kontrolliert werden. Ein paar Mal darf ich sie mit dem Traktor füttern gehen. Es dauert ein bisschen, bis ich die richtigen Hebel betätigen kann und die Ballen richtig gepackt und ausgerollt kriege. Bei den erstrn zwei Ballen fogen mir bestimmt 300 Kühe, die sich auf Futter freuen. Auch bei ihnen gibt es Probleme. Eines Morgens finden wir eine Kuh tot auf dem Rücken liegend. Sie hat sich in eine kleine Mulde gelegt und kam nicht mehr hoch. Andere haben Probleme mit dem Euter. Ihre Zitzen hängen so tief, dass ihre Kälber sie nicht finden. Sie bringen wir in einen der Koralls und versuchen ihren Kälbern, während die jeweilige Kuh in einer „Squeeze“ steht, in der sie am Kopf festgehalten und von rechts und links eingequetscht wird, beizubringen, alle vier Zitzen zu finden…

Eines Tages sehen wir eine Kuh auf der Weide, die irgendetwas Rundes herauspresst. Als sie aufsteht, verschwindet es wieder. Lars erklärt uns, dass es die Gebärmutter ist. Es gibt selten Kühe, die nach der Geburt ihres Kalbes nicht aufhören zu pressen und so lange weitermachen, bis die ganze Gebärmutter heraushängt. Eine Woche später sehen wir sie dann mit der etwa volleyballgroßen Gebärmutter heraushängend herumlaufen. Es ist an der Zeit etwas zu tun. Sie bekommt das Schlafmittel und wird dann mehr oder weniger kopfüber an ihrer Hüfte an den Traktor gehängt. Dann geht’s ans Gebärmutter waschen. Es riecht unangenehm, man sieht genau wo sie ihren Schwanz hatte, denn daneben haben die Raben große Löcher in das Gewebe gefressen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlen muss. Nachdem sie gewaschen ist, muss dir Gebärmutter wieder an ihren alten Platz zurück. Lars erklärt uns, dass man es vorsichtig machen muss, wie wenn man einen Brotteig knete, damit man sie nicht einfach durchstößt. Zum Schluss wird der Ausgang zugenäht, damit sie keine Möglichkeit hat, die Gebärmutter wieder herauszupressen. Für die nächste Woche gibt es Antibiotika. Und die Kuh überlebt tatsächlich. Ich kann es kaum glauben. Die Raben haben ein richtig großes Loch in das Gewebe gepickt und die Kuh ist stark genug, das zu überleben.

Die Raben, Krähen und Adler sind die ersten, die da sind, wenn es etwas gibt. Sie verraten uns, wenn irgendwo eine tote Kuh oder ein totes Kalb liegt. Manchmal finden wir Kälber mit ausgepickten Füßen, einmal glauben wir ein totes Kalb gefunden zu haben. Die Augen sind ausgepickt, ein großes Loch klafft an seinem Hinterteil. Doch grausamerweise atmet es noch. Lars erzählt uns, dass auch Kojoten oder Wölfe manchmal bei der Geburt an das Kalb gehen, die Zunge, die Schnauze oder auch die Ohren abfressen. Zum Glück ist soetwas nicht passiert, solange wir da waren.

Wir haben jeden Tag alle Hände voll zu tun. Meistens stehen wir erst zwischen 8:30 und 9:30 auf, weil wir am Vortag bis es dunkel wurde gearbeitet haben. Das heißt am Anfang bis 20:45, gegen Ende bis 21:30, manchmal auch länger, wenn es noch einen Notfall gab. Und obwohl wir so viel arbeiten, wird die Arbeit nicht weniger. Jeden Tag gibt es neue Probleme, neue kranke- oder Waisenkälber. Wir müssen zusehen wie uns die Kälber unter den Händen wegsterben, weil die Medikamente nicht genug Zeit hatten, anzuschlagen. Es ist zuweilen frustrierend und deprimierend, doch es gibt auch immer wieder Lichtblicke, wenn zum Beispiel ein Waisenkalb von einer Kuh angenommen wird oder wenn ein krankes Kalb sich langsam wieder erholt. Wir lernen eine Menge in der Zeit in der wir bei Lars sind. Über Kühe und Kälber, das Kalben, das Verabreichen von Medizin, wir basteln zwei verschiedene Schienen für Kälber mit gebrochenen Beinen, wir lernen Quad und Traktor fahren, Zaun zu bauen, Kälber einzufangen und ihnen Ohrmarken zu geben, zu erkennen, wenn etwas nicht stimmt und sie krank sind usw. Es ist eine anstrengende und fordernde Zeit doch sie ist auch extrem lehrreich und macht Spaß.

Als Abwechslung gehen wir an einem Tag zu einem Kanurennen. Allerdings nicht zum Zuschauen sondern zum Mitfahren. Eigentlich kam Lars nur auf die Idee, weil Lea gerudert ist. Lea ist 19 und ist schon zum zweiten Mal hier. Sie weiß wie alles läuft und ist besonders am Anfang eine Orientierung und ein Anhaltspunkt für uns, denn Lars kommuniziert eher wenig und man muss erst ein Gefühl dafür bekommen, wann man was macht. Doch sie ist nicht nur unser Anhaltspunkt, sondern auch sie wird schnell zu einer Freundin. Wir arbeiten viel zusammen und verstehen uns sehr gut. Doch zurück zum Kanurennen. Zwei Wochen vorher denkt Lars darüber nach, mitzufahren, drei Tage vorher sitzen wir zum ersten Mal im Kanu und paddeln ein bisschen über den See vor der Haustür. Lars und Lea in dem einen, Johann und ich in dem anderen Boot. Wir stellen uns auf ein Rennen von 8 Km. ein. Das war Lars‘ Angabe und das müsste man ohne Training ja irgendwie schaffen, dachten wir. Etwa vier Stunden vor Beginn des Rennens erfahren wir, dass es 27 Km. sind. Aber für eine kurzfristige Absage ist es bereits zu spät und die Kanus sind ja auch schon im Pferdetransporter vestaut.Johann Handy:
Des Weiteren sollte das wochenlange Training ja auch nicht umsonst gewesen sein. 😉
Am Startpunkt angekommen treffen wir auf die anderen Teilnehmer und deren Boote. Teilweise sehr professionell aussehende Männer machen ihre Kanus rennfertig, während weniger professionelle Menschen, also wir, unsere Boote aus vollkommen verdreckten Viehanhänger ziehen und am Ufer platzieren. Lars, in einer Sportuniform aus den 60ern steckend, führt die ersten taktischen Gespräche mit den Kontrahenten. Er hat sich nämlich vorgenommen, das Rennen zu gewinnen und sich dafür extra neue Kajakpaddel gekauft, die er sogar benutzen darf. Auch hat er wenige Tage vorher bereits Trockenübungen gemacht, über Biberdämme zu steigen. Kurz bevor das Rennen dann startet, sagt einer der Gegner noch zu Lars, dass er ja ein bisschen Kühe vom Boot aus kontrollieren könne. Und dann geht es auch los. Wir kommen gut ins Wasser, währen Lars und Lea hinter uns beinahe kentern. Zunächst geht es über einen See und dann in einen Bach. Immer wieder kommen wir an Checkpoints vorbei, an denen unsere Zeit notiert wird. Nach dem ersten Checkpoint kommt eine Portage, d.h. man muss mit dem Kanu etwa einen Kilometer durch den Wald laufen, um dann wieder in den Fluss zu steigen. Doch leider gibt es keinen Weg und wir verirren uns zwischen den Bäumen, während Lars und Lea uns bereits überholt haben. Wir sind verzweifelt, dass wir schon so früh so viel Zeit verlieren, kommen dann jedoch an ein Haus, vor dem ein älterer lesender Mann sitzt, den wir nach dem Weg zum Fluss fragen. Er beäugt uns etwas misstrauisch und zeigt dann wortlos nach links, als ob er noch nie jemand mit einem Kanu auf dem Kopf durch den Wald auf der Suche nach einem Fluss hat laufen sehen. Tatsächlich finden wir den Fluss recht schnell und es geht paddelnd weiter. Wir wissen, dass wir nicht die letzten sind, da wir ein weiteres Paar im Wald gesehen hatten, die vor einem Moor standen und nicht weiterkamen. Schnell überholen wir zwei Männer und kurz darauf zwei weitere, die sich gerade bei einer Pause einen Joint gegönnt haben. Der Fluss ist sehr schön. Mal breit und mit Gräsern überwuchert und mal schnell fließend und schmal mit vielen Kurven. Immer wieder müssen wir aussteigen, um über Biberdämme, Felsen oder umgestürzte Bäume zu steigen. Wir sind klatschnass und fertig, als wir irgendwann im Ziel ankommen. Nach 4 Stunden und 50 Minuten sind wir da. Eineinhalb Stunden nach dem ersten Team und insgesamt auf dem 8. Platz von 14. Wir sind zufrieden und Lars und Lea, die auf dem 5. Platz gelandet sind, auch, obwohl keiner das Prewigeld von umgerechnet 1000€ gewonnen hat.

Ein paar Tage bevor wir gehen haben wir dann unseren ersten Tag frei. Am Morgen helfen Lea und ich noch Kühe treiben, dann fahren wir mit dem Auto zum 280 Km. entfernten Fjord bei Bella Coola. Der Ort selbst ist winzig und nicht sonderlich attraktiv, doch alleine die Fahrt lohnt sich schon. Zu Beginn war alles noch trübe und kalt. Bis Ende April hat es noch ab und zu geschneit, auch wenn der Schnee nicht liegen geblieben ist. Dann wurde es fast schlagartig warm. Plötzlich hatten wir über 20ºC Grad. Das grüne Gras und die grünen Blätter kamen allerdings erst spät, jedoch auch plötzlich. Nun, auf unserem Weg nach unten, geht es erst noch weiter hoch, es ist wieder kahl, wir fahren durch eine einsame Landschaft voll verkohlter Baumstämme des letzten Feuers. Doch als wir dann nach unten kommen, erwartet uns ein ganz anderes Bild. Alles ist grün, wirklich alles. Der Wald strahlt nur so von dem frischen Grün des Frühlings. Es fühlt sich an als wären wir an einem ganz anderen Ort, in einem anderen Land. Wir sehen auf unserer Hinfahrt zwei Schwarzbären, die sich über das frische Gras hermachen. Er steht direkt neben dem Highway, nur 5m. entfernt und lässt sich nicht von uns stören. Wir stehen bestimmt fünf Minuten da, beoachten ihn fasziniert und machen Fotos. Wir zelten über Nacht an einem Fluss, aus dem Johann uns drei Fische angelt. Als wir uns am nächsten Morgen auf den Rückweg machen, scheuchen wir nur etwa einen Kilometer von unserem Zeltplatz entfernt einen Grizzly auf, der sich daraufhin schnell in die Bäume flüchtet. Auch auf dem Rückweg sehen wir nochmal zwei Schwarzbären…

Auch wenn wir meistens mit den Kühen beschäftigt sind, gibt es auch noch anderes, was wir erleben: Noch vor Ostern, also Anfang April, gibt es das erste Feuer, nur etwa 7 Km. entfernt: Wir arbeiten noch mit den Kälbern, als wir Rauchwolken sehen. Als dann ein Auto hält und Lars erzählt, der im Sommer auch als Feuerwehrmann tätig ist, dass es an der Straße brennt, fahren wir gemeinsam mit den Quads zur Stelle. Und tatsächlich brennt der gesamte Hang neben der Straße. Wir bekommen Schaufeln in die Hand gedrückt und versuchen die Ränder des Brandes zu beaufsichtigen und werfen brennende Stücke, die außerhalb Feuer gefangen haben, ins Feuer. Es ist Ostern und der Brand ist bei alkoholbeeinflussten Feierlichkeiten ausgebrochen. Immer mehr Helfer kommen und so langsam bekommen wir das Feuer in den Griff. Einer der Helfer ist etwas betrunken. In der einen Hand hält er eine Schaufel und in der anderen eine Dose Bier. Hätte er noch die andere Hand frei, würde er in beiden Händen Bier halten, ruft er uns fröhlich zu, während er mit der Schaufel im Feuer herumstochert.
Alkohol spielt hier generell eine bedeutende Rolle. Das Restaurant, in dem wir wohnen, hat einen Laden, in welchem es Alkohol zu kaufen gibt und der die Haupteinnahmequelle des Hauses darstellt. Jeden Tag werden hier palettenweise Bier, Wodka und Mischgetränke verkauft. Oft sind es die selben Kunden und meistens sind sie bereits betrunken wenn sie kommen. Immer wieder muss man vollkommen sinnlose Gespräche mit ihnen führen und einer wollte mich (Johann) immer umarmen und hat mich als sein „Babe“ auserkoren. Was lustig klingt, ist eigentlich sehr traurig. Lars kann unzählige Geschichten erzählen, von Leuten, die morgens um 6 zur Arbeit gehen und dort ihren ersten Alkohol zu sich nehmen, abends von der Arbeit kommen und bis um 4 Uhr morgens weitertrinken, bis sie noch zwei Stunden Schlaf haben. Und das jeden Tag! Auch erzählt er uns von Morden in der Nachbarschaft, die durch den Alkohol oder gerade ddeswegen passiert sind. Viele dieser Leute sind indigen. Sie leben in umliegenden Reservaten, bekommen wohl Haus und Auto, sowie eine monatliche Rente vom Staat bezahlt, das dann oftmals im Alkohol endet, den sie auch noch vergünstigt bekommen. Die Perspektivlosigkeit in der indigenen Bevölkerung scheint groß und der Alkoholkonsum noch größer. Das ist meines Erachtens jedoch vor allem ein Versagen des Staates, der meint, die Leute wären entschädigt und glücklich, wenn man sie mit materiellen Dingen bereichert, anstatt mit Perpektiven. Die großen Fehler, die vor gar nicht allzu langer Zeit begangen wurden, sind eben nicht nur mit Geld und auf die Schnelle wieder gut zu machen.

Wir sind da, bis die Kälbersaison vorbei ist. Es sind noch nicht alle Kälber auf der Welt, aber etwa 450 von 600. Alle anderen werden draußen geboren. Für die Kühe ist es an der Zeit, die große Wiese zu verlassen und den Sommer über frei durch die Gegend zu ziehen. Doch davor müssen die Kälber noch gekennzeichnet werden. Jedes Kalb bekommt ein Brandzeichen, einen gelben Punkt ins Ohr (den brauchen sie nachher, wenn sie verkauft werden), eine Impfung, der Großteil der kleinen Bullen wird kastriert, wenn ein Kalb Hörner hat, werden diese ausgebrannt, die Kälber bekommen, wenn nötig, Medizin. Es ist nicht ganz so schlimm wie bei den Jährlingen, die wir ein paar Tage vorher für den Sommer vorbereitet haben. Auch bei ihnen musste gebranntmarkt, kastriert und enthornt werden. Der Unterschied zu den Kälbern ist, dass deren Hörner „nur“ ausgebrannt werden müssen. Bei den Jährlingen mussten sie erst abgesägt und dann ausgebrannt werden. Würden sie ihre Hörner behalten, würde Lars pro Tier etwa 50-100 Kanadische Dollar weniger bekommen… Schon während dem Sägen begann das Blut zu laufen und sobald das Horn ab war, sprühte es bei manchen regelrecht hervor. Dann musste so lange gebrannt werden, bis es nicht mehr blutete. Kühe sind ja ziemlich hart im Nehmen und Schreien nur wenn es gar nicht mehr geht. Beim Enthornen haben einige der Jährlinge mit den Zähnen geknirscht um nicht zu schreien und dann ging es doch nicht anders und sie haben geschrien. Ich werde wahrscheinlich nie vergessen wie sie geschrien haben. Lea, Johann und mir ist es erstmal ganz anders geworden. Es hat ein paar Male gebraucht, bis wir uns an das Prozedere einigermaßen gewöhnt hatten. Es ist erschreckend, wie schnell man sich an so etwas gewöhnt. Es war mir zwar schon vorher klar, jetzt allerdings noch mehr: Falls ich mal Kühe haben sollte: ihre Hörner kommen nicht ab!

Zwei der Kälber sterben direkt nach der Behandlung mit glühendem Eisen, Ohrmarke und Medizin. Sie haben eine Medizin gebraucht, die ihnen direkt in den Magen gegeben werden muss. Da sie aber während dem ganzen Prozess auf der Seite liegen (sie laufen in ein Gestell, in dem man sie einklemmen und dann auf die Seite drehen kann), haben diese beiden die Flüssigkeit wahrscheinlich in die Lunge bekommen, weil es im Liegen passieren kann, dass man dem Kalb den Schlauch versehentlich in die Luft- anstatt in die Speiseröhre schiebt. Insgesamt haben wir in der Zeit 25 Kälber verloren, zwei wegen diesem Versehen, einige weil sie krank wurden, wenige wurden zu früh und deshalb tot geboren und es gab ein paar, die direkt nach oder bei der Geburt gestorben sind. Eines der Kälber war so groß, dass die Kuh es alleine nicht geschafft hat und selbst Lars hatte trotz eines speziellen Hilfgeräts Schwierigkeiten, das Kalb herauszuziehen. Er musste so sehr ziehen, dass die Kuh nachher kaum aufstehen konnte. Das Kalb hatte den Kopf geschwollen und war tot, als es dann da war. Was mich allerdings am meisten beschäftigt hat, war dieses komische Gefühl, das ich immer dann hatte, wenn wir um das Leben eines Kalbes gekämpft haben. Für mich war es ein Stück weit egal, ob es überlebte oder nicht, es wird, denn früher oder später muss es sterben. In einem dreiviertel Jahr als Kalb, in zwei Jahren als eines, das als Jährling behalten wurde oder später, wenn es als Kuh nicht mehr taugt. Früher oder später muss es sterben, eher auf der Schlachtbank als draußen. Wir haben alles getan, um diese Kälber am Leben zu halten. Für was? Um sie zu einem bestimmten Zeitpunkt zu töten. Ich verstehe, dass das Geld den Unterschied macht, dass es der Grund ist, weshalb das Kalb nicht sterben darf und trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hat mich der Tod der Kälber weniger beschäftigt als der irgendwie sinnlos erscheinende Kampf um ihr Überleben.

An unserem letzten Tag hat Lea noch eine Überraschung für mich. Ich wollte so gerne mal wieder reiten, leider gab es in der Zeit in der wir da waren allerdings nie eine Arbeit, die man mit dem Pferd hätte machen müssen. Und so nimmt sie mich am Abend auf einen Ausritt mit. Gerade zum richtigen Zeitpunkt erreichen wir ein kleines Plateau oberhalb des Tatla Lake. Der See liegt vollkommen ruhig unter uns. Wir sehen über die grünen Wiesen zu den Bergen, deren Spitzen von der untergehenden Sonne in wunderschönes Licht getaucht werden. Wir genießen den Moment, bevor wir wieder zurückreiten, erst langsam, dann jagen wir im fliegenden Galopp über die Wiese, bevor wir noch ein paar Kühe, die wieder zurückgekommen sind, den Hang hinauftreiben. Es ist ein schöner Abschluss einer intensiven und auch zuweilen anstrengenden Zeit, in der wir unglaublich viel Neues gesehen und gelernt haben.

Viele liebe Grüße,

Johann und Rebecca

(Rebecca und Johann)

P.s. Zu den Bildern sind wir diesmal leider nicht mehr gekommen, die kommen demnächst nach. 🙂

Umgewöhnung

Tatsächlich hätte ich nicht gedacht, dass alles für uns so neu ist: Wir stehen an einer roten Ampel. Auf dem Fahrradweg. Es dauert ein bisschen bis mir bewusst wird, dass wir hier nicht stehen sollten. So haben wir es die letzten Monate aber halt gelernt: so nah wie möglich an die Straße stehen und drüber sobald sich die Gelegenheit bietet. Ampeln dienen mehr als Zierde. Auf die achten mancherorts weder Fußgänger noch Autofahrer. Hier aber schon. Wir ertappen uns einige Male wie wir einfach so über rote Ampeln schlendern, weil kein Auto kommt. Rote Ampeln sind schon eine Geduldsprobe… Ein anderes Mal laufen wir über eine dreispurige Straße in der Stadt, auf der gerade nichts los ist. Als wir in der Mitte ankommen, steht ein Auto etwa 100 Meter entfernt. Wir sind ein bisschen irritiert, weil es keine Ampel gibt. Erst als wir auf auch die anderen drei Spuren überquert haben verstehen wir, dass das Auto wegen uns gehalten hat. Tatsächlich passiert uns das noch einige Male, dass die Autofahrer halten obwohl wir gerade noch auf der anderen Straßenseite sind und wir erst lange nach ihnen ihre Spur überquert hätten.

Überall sind asiatisch aussehende Leute unterwegs, zwischen Nordamerikanern, Europäern, Dunkelhäutigen, Menschen mit Turbanen und Lateinamerikanern. So eine bunte Gesellschaft haben wir schon lange nicht mehr gesehen. Und das Beste: Wir fallen in dem bunten Haufen überhaupt nicht auf. Solange wir keine Rucksäcke aufhaben und nicht sprechen, können wir alles sein. Wir werden nicht mehr angeschaut und nicht mehr bevorzugt nach Geld gefragt. Aber wir werden auch nicht mehr so gegrüßt wie sonst. Trotzdem ist es schön, unauffällig zu sein, ein Stück weit einfacher Zugang zur Gesellschaft zu finden.

Im Skytrain (der ohne Lokführer fährt!) oder im Bus sitzen die Leute, wenn sie alleine sitzen, nicht mehr auf dem Platz am Gang sondern rutschen ans Fenster, auch wenn jemand gerade vom Fensterplatz aufsteht. Das hört sich vielleicht ein bisschen komisch an, aber tatsächlich ist das für uns in letzter Zeit eine Seltenheit gewesen. Viele der Leute haben sich immer auf den Platz am Gang gesetzt, wahrscheinlich um schneller rauszukommen, vielleicht aber auch damit die Wahrscheinlichkeit geringer ist, dass sich jemand neben einen setzt? Zumindest haben sie sich, wenn sie vorher am Fenster saßen und derjenige vom Gang aufgestanden ist, auf den Platz am Gang gesetzt. Die Busfahrt ist übrigens höllenteuer. Während wir in Mexiko-Stadt für umgerechnet etwa 25 Cent in der ganzen Stadt mit der Metro unterwegs sein konnten, so kostet hier eine Zone (man kann das Ticket innerhalb von 90 Minuten nutzen) umgerechnet 1,90€. Gut, so sind auch unsere Preise in Deutschland ungefähr, aber wir sind sie halt einfach nicht mehr gewohnt. Wir kaufen uns am ersten Tag eine Ganztageskarte, die wir dann auch entsprechend nutzen und sind die restlichen Tage größtenteils zu Fuß unterwegs.

Auch im Supermarkt trifft uns erstmal der Schlag. Es ist alles sehr teuer. Auf den ersten Blick. Doch als wir unsere Sachen für unterwegs zusammensuchen (Haferflocken, Zucker, Nudeln, Reis und Fertigtomatensoßen) fällt uns auf, dass es gar nicht so teuer ist. Erst Fleisch, Käse, Brot und Gemüse wird teuer. Wir finden aber ein günstiges Brot und billiges Dosengemüse und stellen nachher fest, dass es villeicht der billigste Einkauf der Reise war. Wir finden sogar noch Schokolade. Ein Traum! 😉

Die Stadt ist ruhig, fast immer liegt der Geruch von Marihuana in der Luft. Es fehlt das Gehupe, der viele Verkehr und das Gewusel der lateinamerikanischen Städte. Es ist total entspannt und wären da nicht die vielen Wolkenkratzer, könnte man meinen, man sei gar nicht in einer Großstadt. Es ist gepflegt und sauber. Nicht, dass zum Beispiel in Mexiko-Stadt nicht saubergemacht würde. Nein. Geht man dort nachts durch die Straßen, sieht man überall Leute Müll zusammenfegen. Das machen sie auch tagsüber, aber sie kommen einfach nicht hinterher glaube ich. Es gibt Fahrradwege mit Abbiegespuren, eine Brücke an der Fahrräder gezählt werden, Fußgängerwege. Als wir einmal an einer Baustelle vorbeilaufen und deshalb auf die Straße müssen, werden wir scharf zurechtgewiesen, dass das nicht geht. Wir sollen umdrehen und über die Ampel gehen. Ein bisschen irritiert sind wir im ersten Moment schon. Dann erinnern wir uns wo wir sind, drehen um und warten brav an der Ampel bis diese grün wird.

Was uns auch auffällt, sind die vielen Obdachlosen in Vancouver. Es sind viel mehr als in Lateinamerika (aus dem einfachen Grund, dass es dort möglich ist, für wenig oder gar kein Geld in heruntergekommenen Gegenden in selbstgebauten Verschlägen zu leben). Das ist in Deutschland und ich schätze auch in Kanada eben nicht möglich. Die Obdachlosen bekommen von Organisationen etwas zu essen. Es gibt eine ganze Straße, in der überall Menschen ohne Zuhause sitzen. Einer neben dem anderen. Alte und Junge, manche betrunken oder bekifft. Auf unsere Frage hin, warum es so viele Obdachlose gäbe, antwortet Gregor, unser Couchsurfing-Gastgeber, dass es die einzige Stadt in Kanada sei, in der es „warm“ genug ist, um draußen zu leben. Doch es ist natürlich nicht nur das. Mit Gregor (er ist unser zweiter Gastgeber in Vancouver) verstehen wir uns sehr gut. Er kommt ursprünglich aus Bosnien, hat als Kind ein paar Jahre in Deutschland gelebt, den größten Teil seines Lebens aber in Kanada verbracht. Er teilt seine Wohnung, Geschichten und Erfahrungen mit uns. Doch zurück zu den Schwierigkeiten in Kanada: Die Miete ist, wenn man den Mindestlohn verdient, kaum zu bezahlen (Mindestlohn in British Colombia pro Stunde: 11 CAD = 7,30€, eine günstige Mietwohnung mit drei Zimmern: 1.700 CAD = 1.126€), Rente gibt es auch nicht genug und man hat nur zwei Wochen Ferien im Jahr…

Wir verbringen fünf Tage über Couchsurfing in Vancouver, kaufen uns erstmal in einem Second-Hand-Geschäft warme Jacken und Handschuhe (es ist sehr kalt (etwa 10ºC Grad aber das sind wir halt auch nicht mehr gewohnt), schauen uns die berühmte Dampfuhr (durch eine Dampfmaschine betrieben) an und treffen uns mit unseren beiden Freundinnen Laura und Sophia, die gerade aus Asien kommen und auch am Reisen sind. Wir gehen mit Laura in Parks spazieren, wir spielen Karten und tauschen Erlebnisse und Erfahrungen aus. Im Großen und Ganzen geht es ihnen ähnlich wie uns. Alles ist voll neuer Eindrücke (nur an die asiatischen Gesichter sind sie gewohnt ;)). Es tut gut, nach so langer Zeit mal wieder Freunde zu treffen, die man schon kennt und mit ihnen Zeit zu verbringen. Viel zu schnell trennen sich unsere Wege wieder…

Wir stehen an der Straße Richtung Whistler, wo 2010 die olympischen Winterspiele stattgefunden haben. Es sind sehr viele dicke Autos unterwegs, bestimmt die Hälfte der Autos wird von Frauen gefahren. Das ist auch neu und nach unserer Einschätzung eher ungeschickt für uns, weil uns normalerweise eher Männer mitnehmen als Frauen. Zumindest bisher. Denn in dem ersten Auto das hält sitzt eine Frau…

Tatsächlich werden wir von Männern und Frauen etwa gleichviel mitgenommen. In den Autos läuft die gleiche Musik wie in Deutschland im Radio (ich kenne zwar die neusten Lieder nicht aber die älteren sind die gleichen). Es war eher ungewöhnlich in Lateinamerika, diese Musik in Autos zu hören. Auf den Straßen geht es sehr geordnet zu. Jeder blinkt wenn er abbiegen will, auf der linken Spur fährt auf dem Highway nur der, der überholt, es wird nicht gehupt. Das von zuhause aus zu lesen, hört sich alles vielleicht ein bisschen komisch an, tatsächlich müssen wir uns aber erst in diese Welt zurückfinden. Und das dauert seine Zeit. Nach fünf Tagen Vancouver habe ich noch immer nicht das Gefühl, wirklich angekommen zu sein.

Wir müssen uns ganz neu einfinden in die Kultur und in die Sprache. Erst jetzt wird mir klar, dass Spanisch inzwischen tatsächlich einfacher geworden ist als Englisch. Wir fangen uns Lacher ein, wegen falscher Aussprache und haben Schwierigkeiten, uns gewählt auszudrücken.

Die Umgebung, als wir Vancouver Richtung Norden verlassen, ist anders und wunderschön. Die wenigen Laubbäume sind kahl, doch den Großteil der Wälder bilden hohen Nadelbäume. Bald sind wir von schneebedeckten Bergen umgeben, wir fahren an noch zugefrorenen Seen und glasklaren Bächen vorbei, an dem riesigen Skigebiet von Whistler, wo noch bis ins Tal Ski gefahren wird. Am Straßenrand und im Wald liegt an manchen Stellen noch richtig viel Schnee. Manchmal sehen wir Weißkopfseeadler am Himmel ihre Kreise ziehen. Das Wetter ist die erste Woche die wir unterwegs sind ein Traum. Tagsüber strahlt die Sonne vom Himmel, sodass manchmal ein T-Shirt schon genug ist, dafür ist es nachts richtig kalt. Wir schlafen auf kostenlosen, bzw. noch nicht geöffneten Campingplätzen, die mit Bärenboxen, in denen man alle essbaren Dinge verstauen kann, ausgestattet sind. Johanns Geburtstag verbringen wir auf einem dieser Campingplätze, ganz allein an einem Bach, in dem er die Hälfte des Tages angelt, allerdings nichts fängt.

Das Trampen funktioniert erstmal gut, die Leute sind sehr freundlich und aufgeschlossen. Einmal warten wir fast zwei Stunden und ständig fahren die gleichen Leute an uns vorbei. Oft fröhlich winkend, Tips gebend oder witzelnd erklärend, sie führen erst am Ende der Woche dorthin wo wir hinwollen. Es ist macht fast schon Spaß so lange zu warten. Trotzdem sind wir froh, als es dann weitergeht. Mit einem Pärchen fahren wir über den nächsten, schneebedeckten Pass, auf dem um diese Zeit eigentlich noch mehr Schnee liegt. Die beiden Hunde, die ebenfalls auf der Rückbank mitfahren, freuen sich scheinbar über Gesellschaft und wir bekommen ein paar Hundeküsse zur Begrüßung. Nach etwa einer halben Stunde stelle ich fest, dass wir uns hier vielleicht auch wieder anschnallen sollten… Wir fahren bis Lillooet mit und bleiben dort auf einem kostenlosen Campingplatz, auf dem es aber leider keine Bärenboxen gibt. Weil wir leider zu viel Essenszeug haben im Verhältnis zu unseren Taschen und der Dicke der Schnur, mit der wir sie in einen Baum hängen könnten, müssen sie im Klohäuschen übernachten.

Als wir am nächsten Tag unsere Benzinflaschen an einer Tankstelle auftanken, entdecken wir eine Notiz der Forstbehörde: Es wird von Sasquatch-Sichtungen mit entsprechenden Verhaltensmaßnahmen berichtet. Das Foto dazu findet ihr in unserer Galerie. 😉 Nach einem ordentlichen Spaziergang mit Sack und Pack durch Lillooet (während des Goldrauschs ein sehr wichtiger Ort) nimmt uns eine herzliche, freudenstrahlende Britin mit. Vor 14 Jahren haben sie und ihr Mann in England einfach alles verkauft und sind auf gut Glück mit ihren vier Kindern nach Kanada gereist, ohne viel davon zu kennen. Jeder mit einem Koffer auf ins Abenteuer. Sie erzählt uns viel über die Ureinwohner Kanadas, die „First Nations“, deren Häuser man oft daran erkennt, dass sie ein wenig heruntergekommen sind, dass viel Gerümpel darum herum steht oder dass es einfach nur alte LKW-Container sind. Wir fahren an vielen solcher Siedlungen vorbei, die sich meistens in Reservaten befinden. Man sieht nicht, wann man ein Reservat betritt oder verlässt, kann es nur am Zustand der Häuser erahnen. Sie erzählt uns, dass die First Nations mit der Kolonialisierung ihr Land abgeben mussten. Sie lebten fortan in kleinen Reservaten, meist an Orten mit unfruchtbaren Böden und wenig Wasser. Lange Zeit versuchte man alles, um ihre Sprachen und Kulturen auszulöschen. Inzwischen haben sie die Möglichkeit, ihr früheres Land wieder zurückzubekommen und es wird versucht, Sprache und Kultur wieder aufleben zu lassen, das ist allerdings noch nicht lange so. Wir fahren ein gutes Stück mit ihr mit, durch eine wüstenartige, bergige Landschaft, die sich später abflacht und zu einer Seenlandschaft wird, die dennoch einen kargen und vertrockneten Eindruck macht. Der Regen fehlt, bekommen wir immer wieder gesagt, bzw. der Schnee. Normalerweise hätte es sogar auf dem Highway noch Schnee zu dieser Jahrezeit, erzälen uns die Leute, bei denen wir mitfahren. Im Radio wird der Klimawandel diskutiert, das Thema wird immer wieder angesprochen und ist vielen ein ständiger Begleiter. Es ist das erste Mal auf der Reise, dass der Klimawandel so thematisiert wird. Hitzerekorde im März, milde Winter, 42ºC Grad im Sommer und kaum in den Griff zu bekommende Waldbrände, lassen einem eigentlich auch keine andere Wahl. Ein Schwabe, der uns mitnimmt, sieht die Schuld allerdings nicht beim Menschen und freut sich schon darauf, in ein paar Jahren Orangen anzubauen…

Die restlichen Tage bevor wir uns in Williams Lake mit unserem neuen Workaway-Gastgeber treffen, verbringen wir auf einem riesigen Campingplatz, der um die Zeit noch geschlossen ist und entdecken eine neue Unterbringungsmöglichkeit für unser Essen: Die Hinterseite der Mülleimer, die man auch bärensicher verschließen kann. Die Tage sind bewölkt und windig, manchmal nieselt es auch ein bisschen, die Nächte leider klar und deshalb ziemlich kalt. Wir ziehen uns irgendwann alles an was geht… Am Morgen an dem wir loswollen, ist unser Zelt mit lauter kleinen Regentropfen vereist. Am Vortag hat es erst gehagelt, dann geregnet und plötzlich schien, kurz bevor sie unterging, die Sonne (allerdings nicht auf unser Zelt).

Inzwischen dauert das Warten länger. Wir haben uns angewöhnt, Schilder zu schreiben, weil wir sonst noch viel länger stehen. Während die Lateinamerikaner kaum auf Schilder reagierten, scheinen die Kanadier sie regelrecht zu brauchen. Hat man kein Schild in der Hand, machen viele diffuse Handbewegungen, weil sie nicht wissen wo wir hinwollen, auch wenn es nur eine Straße gibt und uns manchmal auch nur ein paar Kilometer in dir richtige Richtung weiterhelfen.

Nach etwa zwei Stunden werden wir von einer gesprächigen Frau mitgenommen. Auf meine Nachfrage ob es in Williams Lake einen Ort gäbe wo wir Gummistiefel kaufen könnten, die wir für den Hof brauchen, erklärt sie kurzerhand, sie ginge mit uns shoppen. An einem „Share Shed“ halten wir zuerst. Jeder, der etwas hat, kann es hier hinbringen und jeder, der etwas braucht, kann herkommen und sich einfach was mitnehmen. Kostenlos. Und tatsächlich finden wir gefütterte Gummistiefel in unseren Größen und auch Kleidung! Voll ausgestattet werden wir vom Sohn des Farmers, bei dem wir unser nächstes vierwöchiges Workaway machen werden, abgeholt und zu einem Haus gebracht, wo wir warm duschen und unsere Sachen waschen können, bevor es morgen auf die Ranch geht.

Damit liebe Grüße aus Kanada,

Johann und Rebecca

(Rebecca)

Kein Abschied für immer

Es ist 2 Uhr, mitten in der Nacht und es dauert nicht mehr lange bis wir im Flieger sitzen. Ein komisches Gefühl. Wir werden in Lateinamerika ein- und in Kanada aussteigen. Es wird alles neu sein, eine viel größere Veränderung als wir sie in den letzten 14 Monaten erlebt haben. Glaube ich zumindest.

Es war von Land zu Land, von Region zu Region immer ein bisschen anders und doch war es kein riesiger Unterschied. Wir haben uns hier eingelebt. Haben gelernt, ein Gefühl für Menschen und Situationen zu entwickeln und sie richtig einzuschätzen und haben gelernt uns an Menschen und Situationen anzupassen. Wir haben uns an die kleineren und größeren Unterschiede zwischen den Kulturen gewöhnt, auch wenn es immer wieder aufs Neue Dinge gibt, mit denen wir anecken. Ein Beispiel? Die Pünktlichkeit. Ich selbst bin nicht die Pünktlichste, Freunde können ein Lied davon singen. Hier sind zwei Minuten oder auch fünf oder zehn (zehn Minuten sind bei uns ja schon viel, da fragt man sich schon mal, ob dem anderen etwas passiert ist) gar nichts. Man kommt allein aus Rücksicht vor dem anderen schon ein paar Minuten später. Wir wissen inzwischen, dass es sein kann, dass sich jemand auch mal um eine halbe Stunde bis Stunde verspätet und trotzdem erwischen wir uns dabei, dass es uns ärgert, wenn jemand so unzuverlässig ist. Das ist es ja, was unsereins oft mit Unpünktlichkeit verbindet – Unzuverlässigkeit. Hier ist das eben nicht so. Das ist etwas, wo wir immer wieder anecken, uns selbst zurechtweisen- und uns ins Gedächtnis rufen müssen, dass wir eben wo anders sind und es an uns ist, sich anzupassen und zu akzeptieren, wie es eben ist.

Lateinamerika ist uns in gewisser Weise eine Heimat geworden. Wir wissen, wie wir uns verhalten müssen, wir fühlen uns wohl und wir verstehen die Sprache. Mit der Zeit haben wir sie gelernt und können uns gut verständigen. Natürlich fehlen uns noch öfter Wörter oder wir verstehen einzelne nicht. Es gibt auch Leute die wir schwerer verstehen als andere und zweimal nachfragen müssen. Das ist uns jetzt vor allem in Mexiko bei unserem Workaway passiert. Einige der Arbeiter haben sehr schnell und mit wenig Mundbewegung gesprochen und viele typisch mexikanischen Ausdrücke verwendet, die wir zu Beginn noch nicht kannten. Das kommt beim Spanischen nämlich noch dazu: für Regionen typische Ausdrücke muss man meistens im nächsten Land wieder ablegen, da sie eine ganz andere Bedeutung haben. So bedeutet z.B. das Wort „chucho“ in Argentinien „kalt“ in Chile „Gefängnis“ in Guatemala „Hund“, in Mexiko „ängstlich“. Das sind alles noch harmlose Dinge. Wenn wir aber vor unserer argentinischen Freundin Elvira das Wort „concha“ erwähnen und dabei eine schöne Muschel oder ein typisches süßes mexikanisches Brötchen das wir gegessen haben meinen, bricht sie in schallendes Gelächter aus. Für sie ist es ein vulgärer Begriff für das weibliche Geschlechtsorgan. So gibt es viele Wörter, die in der einen Region völlig harmlos sind, in der anderen aber eine vulgäre Bedeutung haben. Ich habe die spanische Sprache lieben gelernt und sie wird mir fehlen. Inzwischen sind wir mit unseren Spanisch- in etwa auf dem gleichen Stand wie mit unseren Englischkenntnissen, glaube ich, nur dass wir ein viel besseres Gefühl für Spanisch als für Englisch haben.

Wir haben Erinnerungen voll guter Erfahrungen und Erlebnissen, voll von lieben Menschen, dir wir kennen, mit denen wir Zeit verbringen und die wir schätzen lernen durften. Manchmal zeigen wir Leuten Bilder von unserer Reise – und staunen manchmal selbst, wo wir unterwegs waren, was wir gesehen und erlebt haben. Natürlich war nicht immer alles schön und rosig. Wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten, haben uns in die Haare gekriegt, Johann wurde aus heiterem Himmel von einer Frau getreten und ein alter Mann schlug uns mit einem Stock „!Gringo! !Gringo!“ – rufend hinterher. Inzwischen lachen wir darüber. Doch ich beobachte mich selbst dabei, wie ich bei dem Wort „Gringo“ genervt reagiere. Dieser, eigentlich herablassend gemeinte Ausdruck für US-Amerikaner, wird im ganz alltäglichen Sprachgebrauch verwendet, ohne Ressentiment, manchmal jedoch auch mit. Ich kann dieses Wort nicht mehr hören. 1. Weil es manchmal herablassend oder böse gemeint ist und 2. Weil ich kein „Gringo“ bin auch wenn ich vielleicht so aussehe. Das ist einer der Gründe, weshalb wir uns auf Kanada freuen: Wir sind den Menschen wieder ähnlicher (zumindest vom Aussehen) und müssen uns vielleicht nicht immer rechtfertigen, dass wir so lange Reisen können, indem wir erklären, dass wir gar nicht so viel Geld brauchen. Das sind vielleicht zwei Dinge, die manchmal etwas anstrengend waren.

Und doch haben wir vor allem gute Erfahrungen gemacht. Wir sind in über 400 verschiedenen Autos mitgefahren, sind insgesamt knapp 29.000 Km. getrampt (von insgesamt knapp 35.000 Km.) und haben nicht einmal das Gefühl gehabt, in einer gefährlichen Situation zu sein. Wir durften auf dieser Reise durch Lateinamerika so viel Verschiedenes kennenlernen, seien es Menschen, Kultur oder Natur. Es ist nur ein winziger Bruchteil dessen, was man kennenlernen konnte und doch hat es uns erfüllt. Wir sind überall auf offenherzige, hilfsbereite und liebe Menschen getroffen. Wenn mich Leute fragen was mir am meisten an ihrem Land gefallen- oder was mich am meisten beeindruckt hat, so antworte ich meist: „Die Menschen“. Wir sind umgeben von lieben Menschen, wir müssen uns dem nur öffnen, das ist mir klar geworden.

Die Zeit in Lateinamerika hat einen tiefen Eindruck in uns hinterlassen. Es war eine anstrengende, aber auch eine wunderschöne, erfüllende Zeit. Wir werden sicher noch oft an diese Zeit, an unsere Erlebnisse zurückdenken und in Erinnerungen schwelgen. Ich bin traurig, diesen Teil der Erde jetzt zu verlassen, die Kultur, die ich kennengelernt- und die Menschen, die ich ins Herz geschlossen habe, bin aber auch voll Dankbarkeit, das alles erlebt haben zu dürfen.

Es ist ein schwerer Abschied aber es ist kein Abschied für immer, da sind wir uns ziemlich sicher, als unser Flugzeug in Richtung Startbahn rollt.

Liebe Grüße aus Kanada,

Johann und Rebecca

(Rebecca)

Natur, Städte und ein Hund

Der Abschied vom Hotel Ecotucan mit den ganzen lieben Menschen und der wunderschönen Lagune, in dem wir sechs Wochen als Freiwillige geholfen haben, fällt uns so schwer, dass wir immer wieder Gelegenheiten finden, doch noch mal einen Tag bleiben zu können. Doch dann irgendwann kommt der Tag des Abschieds, auch weil wir bis zu unserem Flug nach Kanada nur noch drei Wochen Zeit haben, in denen wir noch etwas mehr von Mexiko kennenlernen möchten. Also beschließen wir, noch eine kleine Schleife von zwei Wochen zu drehen und dann noch eine Woche Mexiko-Stadt zu besichtigen.

Und nun geht es wieder los, das Warten an der Straße in der Hitze, der schwere Rucksack, nicht zu wissen, wo man abends sein Zelt aufstellt und das nur bedingt leckere Essen. Man steht an der Straße, jeder denkt über irgendetwas nach, man spricht über die kommende Zeit und man fragt sich, wieso man sich das ganze antut. Ja, nach sechs Wochen des Verwöhntwerdens muss man sich da erst wieder daran gewöhnen. Doch dann hält ein LKW, man steigt ein und kommt sofort mit einem wildfremden Mann ins Gespräch. Wir lachen, wir erzählen von unserer Reise und Europa, er erzählt uns von seiner Arbeit als Lkw-Fahrer, die in Mexiko nicht ganz ungefährlich ist. Bereits zwei mal wurde sein Lkw unter Waffengewalt ausgeraubt, einmal davon wurde der gesamte Lkw entführt. Deswegen hat er an den Türgriffen auch Nägel angebracht. Und gleich weiß man auch wieder, wieso man sich das lange Warten und all die anderen Unannehmlichkeiten „antut“! An diesem Abend steigen wir in einem kleinen Dorf aus, laufen den Highway etwas zurück und verschwinden im Wald. Nach einer längeren Platzsuche stellen wir dann schlussendlich das Zelt auf und machen uns Nudeln mit Tomatensoße. Ach wie hat man das doch vermisst!

Am nächsten Tag geht es weiter durch die Bundesstaaten Campeche und Tabasco nach Veracruz. Es ist nun alles feuchter und somit grüner. Wir fahren durch weite grüne Farmlandschaften mit Vieh und durch Mautstationen, die gewaltsam von Menschen übernommen wurden, die nun das Geld für sich einkassieren (das Doppelte), bis wir an einem Autobahnkreuz rausgelassen werden, an der wir einen Mann fragen, ob wir in seinem Garten Zelten dürfen. Bis hierhin haben wir bei fast jeder Mitfahrgelegenheit von Überfällen und anderen Straftaten gehört, die erlebt wurden. Ein Mann berichtete uns sogar, dass er als Geisel genommen wurde und umgerechnet zweitausend Euro als Lösegeld zahlen musste – hier eine ganze Menge. Später kam dann wohl heraus, dass es Polizeibeamte waren, von denen er entführt wurde. Wir hingegen sind bisher nur auf sehr freundliche und großzügige Menschen hier in Mexiko getroffen.

Dann geht es in den Süden an die Pazifikküste im Bundesstaat Oaxaca. Wir fahren im Auto eines Polizisten, der auf dem Weg zur 600 Kilometer entfernten Arbeitsstelle ist, wo er wohnt und alle drei Monate für vier Tage zu seiner Frau und seiner Tochter „heimkehrt“ mit. In Anführungsstrichen, da er, so berichtet er uns, noch eine andere Frau mit Sohn dort hat, wo er arbeitet. Ob wohl die eine von der anderen weiß?! Jedenfalls fahren wir durch sehr schöne, hügelige und grüne Lanfschaft. Überall sind kleine Ranchs und an der Straße kann man sehr schöne Cowboystiefel, Hüte und Messer kaufen. Eben alles was das Cowboyherz begehrt. Dann geht es irgendwann über einen kleinen Gebirgskamm und in Serpentinen herunter. So weit das Auge reicht sieht man Windräder. Und das aus gutem Grund: Es ist extrem trocken, heiß und vor allem windig. Wir stehen erneut an einem unbefahrenen Autobahnkreuz, wir haben nichts zum Essen und nur noch etwas zum Trinken. Aber zum Glück gibt es eine verlotterte Tankstelle, an der wir uns mit Keksen eindecken und uns die Bäuche vollschlagen. Am selben Tag noch werden wir von zwei jungen Leuten mitgenommen, die anscheinend genau wissen wo wir hinwollen und uns an einer „sehr guten Stelle“ rauslassen wollen. Letztendlich sind wir inmitten einer recht großen Stadt gelandet, doch zum Glück finden wir schnell wieder raus und treffen ein paar Kilometer weiter auf einen Mann, der uns in seiner süßen und noch unfertigen Hütte direkt am Meer gegen etwas Aufräumarbeit schlafen lässt. Er ist Surflehrer und möchte eigentlich noch am nächsten Tag mit uns surfen gehen, doch wir haben leider kaum Zeit und sind uns auch nicht ganz klar, ob er für die Surfstunde etwas möchte. Als er dann eine Stunde nach der verabredeten Uhrzeit immer noch nicht da ist, hinterlassen wir noch einen Zettel und machen uns weiter an der Küste entlang.

Es geht durch die sehr trockene Landschaft auf einer kurvigen Straße, immer wieder durch kleine Fischerdörfer. Die Landschaft ist interessant, aber irgendwie auch ein bisschen trostlos. Unser Ziel ist Zipolite, ein kleiner Küstenort, der uns sehr empfohlen wurde. So wie das allerdings dann beim Trampen oft passiert, fahren wir bei einem mexikanischen Pärchen mit, die gerade auf Urlaub sind und nach Mazunte in den Nachbarort möchten. Und schon landen wir in Mazunte, einem kleinen Ort, in dem sich Touristen aus allen möglichen Ländern versammeln. Die meisten davon mit Rastas, bunten Klamotten und Marihuana rauchend. Auch sehen wir viele gleichgeschlechtliche Pärchen, was man in Lateinamerika insgesamt nur sehr selten zu Gesicht bekommt. Die beiden, bei denen wir nach Mazunte gekommen sind, erzählen uns, dass es im Nachbarort noch viel „hipper“ sei, da es dort einen FKK-Strand gäbe. Etwas mit dem Mexikaner nicht umzugehen wüssten. Außerdem möchten uns die beiden trotz unserer Einwände unbedingt eine Nacht im Hostel spendieren, da sie auch Kinder haben und genau wissen, wie das für so junge Menschen ist, an einem fremden Ort zu sein und nach einem günstigen Hostel zu suchen. Wir haben keine Chance…

Ein weiterer Grund weshalb wir gekommen sind, sind die Buckelwale, die zu genau dieser Zeit an der Küste in den Norden vorbeiziehen. Da wir kaum eine Chance hätten, diese Kolosse von der Küste aus zu sehen, buchen wir eine sehr erschwingliche Tour am nächsten Tag. Den restlichen Nachmittag baden wir in den recht hohen Wellen, auch wenn das Wasser grüne Bläschen bildet und braune Stückchen umherschwimmen. Am nächsten morgen geht es früh los, auch wenn eine halbe Stunde später als veranschlagt. Wir steigen in das Motorboot und fahren eine ganze Weile raus aufs Meer. Währenddessen zieht einer der beiden Guides einen Tunfisch nach dem anderen aus dem Meer. Dann irgendwann sehen wir eine Meeresschildkröte an der Oberfläche schwimmen. Als das Boot näher kommt taucht sie unter. Auf der gesamten Fahrt sehen wir bestimmt noch vier weitere Schildkröten, die irgendwie sehr verlassen so weit draußen wirken. Dann irgendwann sehen wir, wie sich mehrere Boote weiter südlich an der Küste zusammenfinden und unser Guide gibt Vollgas. Und dann sehen wir die besten Wasserfontänen und schließlich einen immensen Walrücken, der etwa 5 Meter neben dem einen Boot aus dem Wasser taucht. Die Show wird mit einem Abgang wie aus einem der Tierfilme abgerundet, indem die Schwanzflosse aus dem Wasser taucht. Es ist eine Gruppe von vier Buckelwalen. Wir folgen ihnen und unser Guides erzählt, dass sie in fünf bis zwanzig Minuten wieder auftauchen werden. Und dann tauchen sie tatsächlich wieder auf. Kaum vorzustellen, dass solche riesigen Kolosse in den Meeren umherschwimmen. Es ist atemberaubend! Wir fahren nach dem erneuten Abtauchen wieder hinterher. Beim insgesamt vierten Auftauchen ist nur noch unser Boot und ein anderes da. Wir sind direkt neben den auftauchenden Walen. Einer von ihnen streckt sogar seinen Kopf aus dem Wasser. Mit einem majestätischen Wink mit der Schwanzflosse tauchen sie ein letztes Mal ab. Wir sind total beeindruckt. Diese Tour hat sich wirklich gelohnt, zumal es keine Walsichtgarantie gibt und an einigen Tagen keine Wale gesehen werden.

Wir entscheiden uns weitere zwei Nächte in Mazunte zu bleiben. Wir wechseln in ein um einiges einfacheres Hostel und genießen tagsüber den Strand und die Wellen des inzwischen viel saubereren Wassers. Nach drei schönen Tagen geht es dann wieder weiter. Wir möchten zu einem See in welchem man wohl das nächtliche Leuchten von Algen gibt. Dort angekommen finden wir einen wunderschönen Zeltplatz, auf dem wir die einzigen Gäste sind. Wir stellen unser Zelt unter den Kokospalmen (wir schauen extra, dass wir nicht unter den Kokosnüssen liegen) auf und genießen den Tag. Die leuchtenden Algen sind zu dieser Zeit nur auf der anderen Seite des Sees zu sehen und nur mit einer Tour zu erreichen. Das ist uns dann aber doch zu viel und wir genießen den Tag auch ohne das Leuchten. Man kann ja nicht immer Glück haben. Außer dass kurz vor dem Einschlafen eine große Kokosnuss direkt neben meinem Kopf außerhalb des Zeltes aufschlägt, ist alles ruhig. Und doch wieder Glück gehabt!

Das nächste Ziel ist Oaxaca-Stadt. Wir versuchen die 250 Km. bis dorthin in einem Tag zu schaffen und das tun wir auch. Allerdings brauchen wir länger als vermutet, da wir mit insgesamt acht verschiedenen Leuten fahren und die Straße teilweise sehr schlecht und sehr kurvig ist. Wie man sich da fühlt, wenn man mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzt und der Fahrer die Kurven sehr rasant nimmt, kann sich wahrscheinlich jeder vorstellen. Angekommen in Oaxaca wollen wir nur noch ins Bett. Wir sind fix und fertig. Am folgenden Tag tingeln wir etwas durch die Stadt, gehen auf verschiedene Handarbeitsmärkte (Oaxaca ist sehr bekannt für die Handarbeiten) und essen Tjaludas, die Spezialität der Region. Tlajudas sind etwa im Durchmesser 30 Zentimeter große, frittierte Tortillas mit Mole (eine typische Soße aus Chilli, Gewürzen und ungesüßter Schokolade) bestrichen und darauf Salat und Fleisch. Wir empfinden Oaxaca als sehr angenehm. Mit seinen Pflasterstraßen hat es die Atmosphäre einer Kleinstadt. Leider haben wir nicht mehr Zeit in Oaxaca, denn wir haben bereits jemanden für eine Woche über Couchsurfing in Mexiko-Stadt gefunden. Und so geht es nach einem Tag Oaxaca weiter. Eigentlich wollten wir die Strecke in zwei Tagen machen, doch da Elvira, unsere argentinische Freundin, gerade dort ist, versuchen wir es in einem Tag. Gegen Nachmittag stehen wir hinter einer sehr vermüllten Mautstelle etwa 120 Km. vor der Haupstadt und sind gerade am Aufgeben, als doch noch ein Auto hält und uns den restlichen Weg mitnimmt. Wir sind einfach nur beeindruckt. Wir sind in der elftgrößten Stadt der Welt und das merkt man. Bereits 40 Km. vor dem Zentrum sieht man rechts und links nur noch Häuser. Unser Fahrer bringt uns zum Flughafen, der sehr zentral liegt. Dort reservieren wir ein Hostel und machen erste Bekanntschaft mit dem sehr guten Metrosystem von Mexiko-Stadt. Eine Fahrt kostet umgerechnet 20 Cent und man kann so oft umsteigen wie man möchte. Das heißt, dass man für 20 Cent beinahe die gesamte Stadt durchqueren kann. Das Umsteigen ist unkompliziert, da alles sehr gut ausgeschildert ist. Mexiko-Stadt begrüßt uns zunächst freundlich.

Dann jedoch werden wir enttäuscht, als wir in das von uns reservierte Hostel gehen und an der Pforte auf den Eigentümer warten. Ich bin gerade nochmal raus auf die Straße gegangen und komme wieder, als Rebecca gegenüber eines Mannes steht und mich fassungslos anschaut. Ich frage was ist und Rebecca erzählt mir, dass der Mann der Chef des Hostels ist und als er reinkam sie gefragt hat, woher wir kommen. Als sie dann „Alemania“ (->Deutschland) gesagt hat, hat er seine Beine zusammengeschlagen, seinen rechten Arm nach vorne gestreckt und „Heil Hitler!“ gerufen. Danach hat er ihr wohl erzählt, dass das was wir über diese Zeit wissen, nicht alles der Wahrheit entspricht… Für uns ist klar, dass wir hier nicht bleiben werden, machen dem Besitzer des Hostels klar, dass man so seine Gäste nicht begrüßt und dass es unmöglich ist, was er gemacht hat und gehen. Nun steht er fassungslos da und wir finden schlussendlich ein viel besser gelegenes Hostel, wo wir gegen zwei Uhr in der Nacht Elvira treffen.

Nach einer kurzen Nacht sind wir mit ihr am nächsten Morgen in der Stadt unterwegs und gehen gegen Nachmittag zu unseren Couchsurfing-Gastgebern, die etwas außerhalb wohnen. Ana und Mario sind sehr nett, auch wenn sie einen anderen Lebensstil führen als gewöhnlich (sehr gehoben). Die beiden haben vier Katzen und drei Hunde, die sie alle von der Straße gerettet haben. Wir fühlen uns also sehr wohl. Für den nächsten Tag ist die Besichtigung der alten Azteken-Stadt Teotihuacan mit Elvira geplant. Wir kommen erst am frühen Nachmittag an und sind mäßig begeistert. Die Anlage ist sehr groß. Es sollen einmal 100 000 Menschen hier gelebt haben. Eine riesige Pyramide sticht sofort ins Auge, genauso wie eine Schlange von Menschen, die auf dem Weg zur Spitze ist. Wir entschließen uns dazu, erst in das Museum zu gehen, was sich jedoch als Reinfall herausstellt, da es geschlossen ist. Auf dem Weg dorthin sind wir mehrmals erschrocken, da wir ein mehrfach Jaguarbrüllen vernommen haben. Dieses Brüllen stammt von Verkäufern, die relativ scheußliche Jaguarköpfe aus Holz verkaufen, in die man hineinblasen kann. Die vielen Verkäufer scheinen in der Anlage sowieso eine Art Plage zu sein, da sie überall sind und sich einem andauernd in den Weg stellen, um einem eines oder mehrere ihrer Produkte (die übrigens bei jedem gleich sind) vor die Nase zu halten. Dabei hört man von allen Seiten dieses gelinde gesagt, nervige Jaguarbrüllen. Die Ruinen an sich sind schon beeindruckend, interessant und der Ausblick von der Spitze schön, aber die Menschenmassen machen es einem schier unmöglich sich vorzustellen, bzw. hineinzufühlen, wie es einst mal war. Wir gehen also mit gemischten Gefühlen wieder heim und beschließen, am nächsten Tag Elvira zum Flughafen zu bringen und zu verabschieden.

Nach dem Abschied von Elvira treffen wir auf zwei Chinesen in der Metro, die gerade seit zwei Stunden in Mexiko sind und denen gerade eines ihrer sehr teuren Smartphones geklaut wurde. Da sie kein Spanisch sprechen helfen wir ihnen zum Hotel zu finden, sich ein neues Handy zu kaufen und alle möglichen Papiere zu regeln. Was uns beiden dabei durch den Kopf geht ist, wie es denn sein kann, dass wir seit nun 14 Monaten in ganz Lateinamerika unterwegs sind, trampen, irgendwo im Gebüsch zelten, mit Metros usw. fahren und uns auf der gesamten Reise noch nie irgendwas geklaut wurde, allerdings diese beiden nach zwei Stunden schon um ein Handy leichter sind. Wir wissen nicht wieso.

Was uns hier in Mexiko-Stadt auffällt oder vielmehr überrascht, ist, wie schön und beinahe entspannt es ist. Wir fühlen uns hier auch sehr sicher, auch wenn viele sagen, dass das Metrofahren gefährlich sei und man nur mit dem Uber-Taxi unterwegs sein sollte. Wir fühlen uns jedenfalls sicher. Wir haben nämlich eine riesige (riesig ist sie ja auch), dreckige, laute und gefährliche Stadt erwartet, doch die Realität zeigt uns ein ganz anderes Bild. Es gibt Kultur, Geschichte, Museen, schöne Parkanlagen und eben dieses beinahe geniale Metrosystem. Uns fesselt diese Stadt irgendwie, auch wenn wir uns in Städten beide normalerweise nicht so wohl fühlen.

Mit Mario und Ana fahren wir an einem Tag zusammen nach Xochimilco, einem Teil Mexiko-Stadts. Das Besondere hier ist, dass die Kanäle und der eine kleine See hier, der letzte natürliche Lebensraum des Axolotls ist. Axolotl sind eine Art Molch, welche die besondere Eigenschaft haben, verlorene Gliedmaßen vollkommen nachwachsen zu lassen, was sie für die Wissenschaft sehr interessant macht. Gefährdet sind sie nun vom Menschen, obwohl er geschützt ist und von nicht heimischen Fischarten, welche die Eier und Jungtiere fressen. Auf den Kanälen kann man im Venedig-Stil auf Gondeln herumfahren. Der Unterschied ist nur, dass die Gondeln als Partyboote am Wochenende fungieren. Auf dem Rückweg gehen wir mit unseren Gastgeber noch auf einen nahegelegenen Blumenmarkt. Auf einmal tippt mich die Rebecca an und zeigt auf einen kleinen Hindewelpen, der mehr schlecht als recht auf der Straße umhertippelt. Rebecca setzt sich gleich hin und streichelt die kleine Hündin. Kaum steht Rebecca auf, rückt der Welpe ihr hinterher und legt sich sogar unter sie. Ich frage Ana und Mario zum Spaß, ob sie noch einen Hund bräuchten. Da hab ich ihnen einen Floh ins Ohr gesetzt und sie beginnen zu überlegen. Mario will sie nicht und Ana schon. Gerade gehen wir von ihr weg, als die Welpin im Sitzen einschläft und fast umkippt. Sie ist offensichtlich sehr schwach und da kann dann auch Mario nicht mehr zusehen und wir nehmen sie mit, waschen sie und entfernen alle der unzähligen blutsaugenden Flöhe. Wir geben ihr Wasser und Hundefutter und sie schläft schließlich. Die nächsten Tage ist sie viel wacher und aktiver, wird frech gegenüber den Katzen und braucht sehr viel Liebe. Am liebsten schläft sie auf dem Schoß von einem von uns beiden ein oder wir spielen mit ihr. Wirft man ihr ein Spielzeug, hüpft sie ihm mit großen Sprüngen hinterher und bringt es wieder. Sie lernt extrem schnell, läuft bereits an der Leine, verrichtet ihr großes Geschäft draußen und hört auf ihren Namen. Wir einigen uns gemeinsam auf „Nina“. Nur mit dem Fressen ist es noch schwierig. Da sie auf der Straße gelebt hat, geht sie an Müll, wenn man mit ihr raus geht und wenn sie ihr Futter aus dem Napf verschlungen hat, sucht sie die Näpfe der noch fressenden Katzen auf. Dort bekommt sie jedoch den ein oder anderen Pfotenhieb ab und schaut einen dann mit großen braunen Augen und unter ihren blonden Wimpern hervor mit hilfesuchendem Hundeblick an. Sie ist ein schlaues und absolut liebenswürdiges Hündchen. Wir schließen sie fest ins Herz und würden sie am liebsten gleich in unseren Rucksack packen und mitnehmen.

Nach einem gemeinsamen Taco-Abendessen bringen uns Mario und Ana zur nächsten Metro-Station und für uns heißt es Abschied nehmen von Nina, von Ana und Mario, von Mexiko und von Lateinamerika. Unser Flug nach Kanada wird am nächsten Tag gehen und es fühlt sich einerseits gut und andererseits falsch an. Nach zweieinhalb Monaten Mexiko und vierzehn Monaten Lateinamerika geht es nun in den englischsprachigen Raum, mit anderen Menschen einer anderen Kultur. Uns wird das Spansich fehlen und die ganzen lieben Menschen, die uns bis hierher begleitet haben und die wir getroffen haben. Dass wir morgen in Kanada sein werden, ist kaum vorstellbar. Mexiko war jedoch ein wunderbarer Abschluss für das Kapitel Lateinamerika und wir möchten unbedingt wieder zurückkommen, denn von Mexiko fehlt uns noch jede Menge!

Und damit liebe Grüße aus dem Flughafen in Cancun,

Rebecca und Johann 🙂

(Johann)

Ein kleines Zuhause

Mexico. North Amerika. Ich kann es kaum glauben als ich das große Schild sehe. Wir sind ziemlich genau nach einem Jahr tatsächlich in Nordamerika!

Am nächsten Tag erreichen wir dann endlich unsere lang ersehnte Workaway-Stelle. Wir haben so viele verschiedene Stellen angeschrieben und hatten schon Angst, gar nichts mehr zu finden. Wir brauchen mal wieder ein bisschen Zeit uns zu sammeln, zu planen und Kraft für die Weiterreise zu tanken. Endlich mal wieder ein fester Ort, ein Bett, das jeden Abend an der gleichen Stelle steht und gutes frisches Essen. Außerdem bekommen wir einen tieferen Einblick in Mensch, Kultur und Natur, wenn wir länger an einem Ort verweilen.

Nachdem wir von der Ladefläche des Pickups geklettert sind, laufen wir über einen Schotterweg in die Richtung, in der der See Bacalar liegt. Ein Schild „Favor de no alimentar a los jaguares“ („Die Jaguare bitte nicht füttern), lässt uns kurz stutzen und dann schmunzeln. Humor hat derjenige zu dem wir unterwegs sind jedenfalls schonmal. Am Hotel angekommen werden wir freundlich begrüßt und bekommen etwas zu trinken. Dann geht die Tür auf und eine junge Frau kommt über das ganze Gesicht strahlend auf uns zu und drückt uns ersteinmal herzlich. Sie ist, wie man sofort an ihrem Akzent hört, Argentinierin, hat schwarze Haare, dunkelbraune Augen und eine milchschololadenbraune Haut, ihr linker Arm wird von bunten Tatoos geziert. Das Auffälligste aber ist ihr Lachen. Man kann gar nicht anders als es zu erwiedern. Wir fühlen uns sofort wohl und gut aufgehoben und zwischen uns und Elvira entwickelt sich nach und nach eine immer tiefere Freundschaft. Es ist schön, dass sie sich so vertiefen kann, haben wir doch bisher mit kaum einem Menschen so viel Zeit verbringen können auf unserer Reise. Es waren bis auf wenige Ausnahmen, wenn ich recht überlege gibt es nur eine: Antu aus Chile, flüchtige Freundschaften. Mit vielen Menschen haben wir uns auf Anhieb gut verstanden, mit manchen haben wir kleine Freundschaften geschlossen, mit einigen wenigen haben wir noch Kontakt, die Freundschaften warten auf ein weiteres Treffen, um sich zu vertiefen. Mit Elvira ist es anders. Wir haben die Zeit uns kennenzulernen und Zeit zusammen zu verbringen. Diese Freundschaft ist keine flüchtige wie viele in letzter Zeit sondern eine mit einer gewissen Tiefe. Auch wenn es nur ein Monat ist. Elvira sagt irgendwann nur noch „mis niños“ (meine Kinder) zu uns. Sie ist 13 Jahre älter als wir, doch das spüren wir kaum. Mal verbringen wir mehr Zeit miteinander, mal weniger. Eines Abends zwingt sie uns, mit ihr zu tanzen. Johann mit ihr, ich mit Erik. Uns wird mal wieder klar wie schlecht wir im Tanzen sind. Die Lateinamerikaner haben das Tanzen einfach im Blut. Wir dagegen stehen stocksteif da und versuchen auf Teufel komm raus irgendwas Ordentliches zusammenzubringen. Und genau das ist das Problem. Elvira und Erik sind ganz locker, lassen sich von der Musik bewegen. Ich fühle mich wie eine Holzmarionette, die jemand noch so geschmeidig zu bewegen versuchen kann, die aber eben einfach aus Holz ist, weshalb sie sich niemlas im Einklang der Musik bewegen kann. Mit Antu waren wir einmal gemeinsam abends unterwegs, als wir zurückkamen meinte sie nur, lachend den Kopf schüttelnd, dass wir unfassbar schlecht getanzt hätten. Gerade in Deutschland (in Spanien könnte es schon wieder anders sein, das weiß ich nicht) wachsen wir nicht mit der Musik, dem Rhythmus und dem Tanz auf wie beispielsweise in Lateinamerika.

Erik ist übrigens Guide für Kajaktouren, die Gunnar und Jacqueline hier organisiern. Die beiden leben schon seit über 13 Jahren hier, kamen von Alaska mit ihrem eigenen VW-Bus und blieben hier hängen, weil der Bus kaputt war. Seither arbeiten sie mit Arturo, dem Besitzer des Hotels, in dem wir unser Workaway machen, zusammen und bieten Kajak-, Dschungel- und Vogelbeobachtungstouren an. Sie nehmen uns auf ihre Touren mit, wir lernen viel über die Laguna Bacalar, die Tier- und Pflanzenwelt, Zusammenhänge in der Natur und von Mensch und Natur. Oft sitzen wir mit Jacqueline zusammen und unterhalten uns, manchmal stundenlang, über Gott und die Welt. Wir dürfen sie ab und zu zum täglichen Einkauf nach Bacalar begleiten, sie erzählt uns von ihrer Reise, zeigt uns Bilder und kleine Filme und weckt in uns die Sehnsucht, die einem während dem Reisen manchmal ein wenig abhanden kommt. Manchmal kochen sie oder Gunnar für alle – stets ein Gaumenschmaus. Während wir gemeinsam am Tisch sitzen, lachen wir oft herzlich über Gunnars Späße, die meistens ganz unvermittelt kommen. Er ist sonst sehr still aber wenn ihm ein Scherz einfällt, grinst er verschmitzt und gibt ihn zum Besten. An manchen Abenden spielt Johann noch Schach mit Regulo, dem lieben Nachtwächter, der alle jeden Abend mit einem herzlichen Lächeln begrüßt. Kurzum: Wir fühlen uns pudelwohl in dieser lockeren und liebenswürdigen Gemeinschaft, die uns während der eineinhalb Monate eine kleine Familie wird. Es wird uns ein kleines Zuhause.

Meistens arbeiten wir getrennt, Johann nachmittags und ich morgens. Während er nachmittags an der Rezeption sitzt, Gäste aufnimmt, ihnen alles erklärt und ihnen ihre Cabaña zeigt, arbeite ich morgens immer etwas anderes. Mal helfe ich in der Küche oder an der Rezeption, mal reche ich Blätter zusammen, putze Treppen oder Räume, streiche dieselben, nagle zurechtgesägte Bretter über Tür- und Fensterrahmen, um sie zu verschönern, schreibe Tabellen usw. Eigentlich ist es jeden Tag etwas anderes. Das Schöne an der Arbeit ist, dass gerade bei dem Anfertigen der Bretter mir etwas zugetraut wird. Es ist das erste Mal, dass ich soetwas bei Workaway erlebe. Sonst haben wir immer nur Dinge zu tun bekommen, die prinzipiell jeder machen kann, ohne nachdenken zu müssen und ohne dabei viel kaputtmachen zu können. Die Aufgabe macht mir Spaß, ich muss ein bisschen denken an manchen Stellen, es ist etwas wo es darauf ankommt, es ordentlich zu machen und nachher habe ich ein Ergebnis, das nicht nach zwei Wochen wieder verschwunden ist, wie beispielsweise beim Unkraut jäten.

Fast jeden Tag gehen wir mindestens einmal baden. Die Lagune ist wunderschön und macht ihrem zweiten Namen „See der sieben Farben“ alle Ehre. Die Sonne lässt den See in allen Blautönen erstrahlen. An windstillen Tagen, wenn man auf der Boje etwas weiter draußen sitzt und das Wasser ruhig ist, sieht man den Boden weit um sich herum, fast als wäre da gar kein Wasser. Am Morgen kann man den Sonnenaufgang beobachten, dann ist der See noch ganz ruhig. Sobald die Sonne aufgegangen ist, frischt der Wind auf, der aufgrund der gefühlt stetig steigenden Temperaturen sehr gut tut. Die weniger windigen Tage werden gegen Ende unseres Aufenthaltes immer seltener, doch dann, an unserem letzten Tag, ist die Lagune spiegelglatt. Wir schwimmen ein ganzes Stück hinaus, das wunderschöne Blau umgibt uns. Was für ein Abschied. Doch zurück zu Wimd und Wetter: Hatten wir am Anfang noch kühle Nächte, in denen ich manchmal im Pulli geschlafen habe, liegen wir gegen Ende abends schwitzend im Bett. Am Anfang war es tagsüber windstill aber nicht allzu warm, jetzt ist es windig und heiß. Die Veränderung passiert langsam und ist irgendwie mal wieder spannend mitzuerleben. Die letzte Zeit in der wir gereist sind, haben wir die Veränderungen herbeigeführt. Durch unsere ständige Bewegung haben wir die Veränderungen von Wetter und Natur kaum wahrgenommen, sie entstand vor allemdurch unsere Ortswechsel.

Wir genießen unsere Zeit sehr, wir haben viel Freizeit und verstehen uns mit den meisten Menschen um uns herum sehr gut. Arturo, der Besitzer des Hotels, ist alles andere als ein „Chef“. Er begegnet jedem auf Augenhöhe, ist herzlich wie man nur herzlich sein kann, hat immer ein Lächeln, einen Dank oder wenn nötig auch ein aufmunterndes Wort auf den Lippen oder drückt einen im Vorbeigehen einfach mal. Gibt es mal Schwierigkeiten mit Gästen, ist er zur Stelle und lässt niemanden alleine stehen. Neben uns gibt es noch zwei bis drei andere Volunteers, doch mit Elvira verbringen wir (solange sie da ist) die meiste Zeit, wir sitzen zusammen, reden, spielen mal Gitarre und Ukulele und ein paar Mal geht sie mit uns auf kleine Ausflüge, z.B. zu einer der vielen Zenoten hier in der Umgebung. Kurz zur Erklärung: Die Zenoten um Bacalar sind Sinklöcher, die durch das darunterliegende Höhlensystem entstehen, wenn deren Decke einbricht. Manche dieser Zenoten sind mit Wasser gefüllt, das aus dem Höhlensystem nach oben steigt, andere nicht. Die Cenote de la Bruja liegt am Rand der Laguna Bacalar und ist sehr dunkel, da das Loch ca 170m tief ist. Es macht riesig Spaß, an dem Rand entlang- und nach unten zu tauchen, sich nur an der Wand orientierend, da der Boden nicht zu sehen ist oder praktisch direkt in das Loch hineinzuspringen.

Es fällt uns schwer, weiterzuziehen. Mehrere Male verlängern wir unseren Aufenthalt, sodass wir zu guter Letzt über 1 1/2 Monate bleiben. Die Zeit fliegt vorbei, wir wollen noch bleiben, bis Elvira auf ihren Urlaub geht, dann fällt uns auf, dass die Einreise in die USA, bzw. später Alaska doch nicht so einfach wird wie wir dachten und wir bleiben doch nochmal länger. Nachdem Elvira auf ihren kleinen Urlaub gegangen ist, bleiben wir noch einundhalb Wochen länger und dann nochmal einen Tag, weil wir noch die Schule kennenlernen wollen, die Arturos Frau ins Leben gerufen hat und die auch seine Kinder besuchen. Wir bekommen eine Führung durch die Räume und durch das Schulsystem, eines, in dem die Kinder entscheiden, wann sie was tun oder lernen wollen.

Doch schließlich ist der Tag gekommen. Unsere Rucksäcke sind wieder gepackt, das Zelt und Schuhe geputzt, Isomatten und andere löchrige Gegenstände geflickt. Wir drehen eine Runde um allen „Adios“ zu sagen. Gunnar und Jacqueline fahren uns bis an eine große Kreuzung, wo wir uns auch von ihnen verabschieden müssen. Allerdings nicht ohne uns für einen weiteren Besuch anzumelden.

Es war eine wunderschöne Zeit, die wir in Bacalar verbringen durften und es fällt uns schwer, weiterzugehen. Fast haben wir auf etwas gehofft, dass uns zwingt, doch noch länger zu bleiben und als wir uns am gleichen Abend durch die Büsche schlagen, um einem Platz für unser Zelt zu finden, denken wir wehmütig an den Ort und die Menschen zurück und überlegen, wie schön es wäre einfach umzudrehen und morgen wieder dort aufzuschlagen. Doch wir wollen noch ein bisschen von Mexiko kennenlernen und Elvira in Mexiko-Stadt wiedersehen und so gehen wir am nächsten Morgen weiter ins Unbekannte obwohl wir vielleicht beide am liebsten umgekehrt wären…

(Rebecca)

Umgeplante Pläne

Dass die USA in vielerlei Hinsicht schwierig werden kann, war uns von Anfang an klar. Wir haben uns bereits bei der Planung der Reise Sorgen über die Einreise gemacht, aber auch über das Trampen haben wir Horrorgeschichten vom Nichtmitgenommenwerden gehört. Aber die USA war dann doch noch immer zu weit weg in unseren Gedanken, als dass wir uns andauernd informiert hätten.

Wir wussten nur, dass wir für 90 Tage ohne Visum, bzw. mit dem Visa-Waiver-Programm einreisen dürfen. Das war es dann auch. Als ich dann an der Rezeption hier im Hotel in Mexiko sitze, in dem wir gerade arbeiten, und die Zeit habe, etwas über die USA zu recherchieren, mache ich eine nicht so schöne Entdeckung, die unseren ganzen Plan zunichte machen könnte…

Bisher nahmen wir an, dass wir die 90 Tage für den Hauptteil der USA und Alaska bekommen würden und hatten somit geplant, die USA innerhalb von 30 Tagen zu durchqueren. Demnach blieben uns noch 60 restliche Tage für Alaska übrig und dazwischen würden wir uns 3 Monate in Kanada aufhalten. Falsch gedacht. Der Ablauf der 90 Tage stoppt nämlich nicht, wenn man die USA verlässt und Kanada betritt. Sie laufen einfach weiter. Und das, obwohl man sich gar nicht in den USA befindet. Zumindest, wenn man manchen Beiträgen im Internet glauben schenkt.

So las ich das auf mehreren Seiten, wie z.B. auf der Seite des Auswärtigen Amtes in Österreich oder bei den Reisehinweisen des ADAC. Nach weiteren Recherchen im Internet stellt sich heraus, dass manche von dieser Regelung Bescheid wissen und manche nicht. Das Auswärtige Amt Deutschlands zum Beispiel nicht. Auf der Seite der Reisehinweise der USA ist nichts von dieser Regelung zu finden und auf Nachfrage per Telefon und E-Mail wird man nur an die US-Botschaft in Berlin oder Frankfurt weitergeleitet. Also gut, wir schreiben Mails an die Botschaften und lassen von zuhause dort nachfragen. Auch fragen wir bei den US-Botschaften in Wien und Bern nach. Aus Wien bekommen wir die Antwort, dass es diese Regelung mit den auslaufenden Tagen gäbe, die anderen Botschaften können keine Auskunft geben oder verweisen uns auf die amerikanische Seite der „Homeland Security“. Ein Botschaftsmitarbeiter teilt uns sogar mit, dass wir in keinem Fall visumfrei einreisen können, wenn wir über Land einreisen. Der von ihm mitgeschickt Link widerlegt das jedoch eindeutig. So langsam wird uns klar, dass so wirklich keiner Bescheid weiß. Es ist das reinste Chaos.

Bisher haben wir es gescheut, aber wir fassen uns ein Herz und rufen die Hotlinenummer der „Homeland-Security“ an. Eine vollkommen unverständliche Stimme meldet sich zu Wort. Erst als sie die Nummer 9 auf dem typischen Kaugummi-Englisch sagt, ist mir klar, dass ich die ganze Zeit mit einem Automaten gesprochen habe und sie möchte, dass man eine der Nummern tippt, um beim richtigen Servicemitarbeiter rauszukommen. Ich lege auf und merke, dass der Anruf bis jetzt stolze 3€ gekostet hat. Also gut, nochmal. Ich wähle die Nummer aufs Neue und bin so schlau, sofort auf die zwei zu drücken, da ich genau weiß, dass ich die verschiedenen Auswahlmöglichkeiten sowieso nicht verstehen werde. Aber zu meinem Schreck werde ich nicht zu einem Servicemitarbeiter, der mir meine Frage beantworten könnte, weitergeleitet, sondern wieder zu einem Automaten, der mir die möglichen Kategorien und die dazugehörigen Nummern vorsagt. Ich bin wütend und lege auf. Wie kann man einem denn so das Geld aus der Tasche ziehen! Kein Wunder dass der Chef von TELCEL, dem mexikanischen Netzbetreiber einer der reichsten Menschen der Welt ist! Sauerei!

Also gut, noch ein letztes Mal. Ich habe sieben Minuten Zeit, denn nur noch 7€ Guthaben. Diesmal drücke ich sofort die vier und tatsächlich scheine ich an diesem Tag doch noch Glück zu haben. Es piept und Sekunden später (die natürlich gnadenlos abgerechnet werden) hebt eine Frau am anderen Ende ab: „Häläo, wirfkyke kdkeo xkdk dfkr fkyjsi häälp yäo?“ Obwohl ich kein Wort verstehe, schildere ich ihr unser Problem. Nach einer kurzen Pause sagt sie nur: „Schuud bä äokäi!“ Ich hake noch einmal nach und sie versetzt mich mit den Worten „Will bä bääg, pläs sdääi in laain!“ in einen musikalischen Singsang. Es waren ihre letzten Worte. Nach rund zwei Minuten, die sich wie zwei Stunden angefühlt haben, werde ich von einer lieben Stimme aus einem beinahe hypnotischen Schlaf geweckt. Es ist jedoch nicht die Frau aus Washington, die sich wahrscheinlich gerade einen Kaffee macht, während dieser mexikanische Milliardär weiterhin sein Konto vollgepumpt bekommt. Und das von mir! Es ist die Stimme aus den Tiefen meines Handys, die mir nur mitteilen möchte, dass soeben das Guthaben leer geworden ist. Ich klappe auf dem Bett zusammen und möchte nie wieder aufstehen. Das Leben ist ja so hart!

Am nächsten Tag, wir haben wieder Guthaben, probieren wir es erneut und bekommen wieder gesagt, dass es keine Probleme geben dürfte. Einer englischsprachigen Freundin in Deutschland, die so lieb ist, für uns nochmals anzurufen, wird erzählt, dass es nur dann geht, wenn wir während unserer Zeit in Kanada Nordamerika verlassen…

Es scheint uns wieder keiner eine Antwort geben zu können oder zu wollen und wenn ja, dann klingt es doch nur nach Halbwissen aus einem Bürokopf in Washington. So komme ich auf die Idee mit den Leuten zu sprechen, die nachher entscheiden, ob wir reinkommen oder nicht. Ich rufe bei der alaskanischen Grenze an und bekomme vom telefonierenden Beamten unmissverständlich gesagt, dass unser Plan nicht funktioniert und er uns so nicht nach Alaska lässt. Ein zweiter Anruf am nächsten Tag bestätigt den ersteren, sagt aber auch ganz offen, dass es natürlich Grenzbeamte gibt, die da ein Auge zudrücken und einem einfach neue 90 Tage geben. Aber eben nicht alle. Genau so habe ich mir das eben auch bereits gedacht. Die Regel besagt, dass man für 90 Tage in die USA ohne ein Visum einreisen darf und die 90 Tage anfangen abzulaufen, sobald man die USA betritt. Der Countdown hört erst auf, wenn man Nordamerika und die Karibik verlässt. Erst dann kann man neue 90 Tage bekommen. Allerdings gibt es wohlgesonnene Grenzer, die einem auch einfach so erneut 90 Tage geben. An so jemanden kann man gelangen, muss man aber nicht.

Da wir bereits einen Flug aus Alaska nach Island gebucht haben und Rebeccas Bruder nach Alaska kommen wird, um dort mit uns vier Wochen lang mit dem Kanu unterwegs zu sein, können wir nicht riskieren, nicht nach Alaska gelassen zu werden. Somit wird aus der USA-Durchquerung über Land nichts und wir tun das, wovor wir uns so sträuben. Wir buchen einen Flug von Mexiko-Stadt nach Vancouver. Es ist unglaublich schade, die USA nicht mitzubekommen, denn auch sie sollte eigentlich Teil der Reise werden und gerade in den USA verändert sich landschaftlich und kulturell so viel. Aber die USA hat in Nordamerika auch einfach eine sehr ungünstige Position, die es nicht nöglich macht, die USA zu umgehen, so wie es in fast jedem Land Asiens, Afrikas, Europas oder Südamerikas möglich wäre. Aber so ist es eben einmal, so ist das Reisen. Man muss flexibel bleiben, das Gute sehen, das annehmen was kommt. Und wenn man nicht in ein Land kann, aus welchen Gründen auch immer, muss man das eben akzeptieren. Auch wenn in mir die Frage aufkam, wie es denn sein kann, dass es Länder (bzw. Menschen) gibt, die anderen einfach die Einreise verwehren. Wir sind doch alle Menschen dieser Erde und warum sollte man sich gegenseitig verbieten, Teile derselben zu sehen? Das ergibt doch alles gar keinen Sinn… Aber das ist auch wieder eine andere Geschichte. (Wer einen kompletten Beitrag über diese Thematik möchte, meldet sich bitte in den Kommentaren. Den gibt es ab 10 Anfragen)

Zunächst dachten wir über den Alternativplan nach, in den Osten Kanadas zu fliegen, also Toronto oder Montreal und von dort aus in vier oder fünf Wochen in den Westen zu reisen. Doch nach einem Blick auf die Klimatabelle und das aktuelle Wetter, entschieden wir uns dann doch noch etwas länger in Mexiko zu bleiben und dann nach Vancouver zu fliegen. Im Osten des Landes hat es nämlich gerade Temperaturen zwischen null und minus zehn Grad tagsüber und zwischen minus zehn und minus 25 Grad nachts. Das ist uns dann doch zu kalt, um dauerhaft im Zelt zu schlafen und womöglich stundenlang an der Straße zu stehen.

Dies zur Berichterstattung zu unseren letzten Aktivitäten zu unseren kommenden Aktivitäten.

Viele liebe Grüße immer noch aus Bacalar in Mexiko.

Rebecca und Johann

(Johann)

Zentralamerika

Wir haben es geschafft. Nach einem Jahr durch Süd- und Mittelamerika sind wir nach Nordamerika gekommen! Eigentlich gehört auch die mexikanische Yucatán-Halbinsel noch zu Zentralamerika, dennoch werden wir an diese Stelle unser Fazit setzen, was Zentralamerika betrifft und ganz Mexiko zu Nordamerika zählen. Schließlich stand auch bei unserer Einreise nach Mexiko ein großes Schild „Nordamerika“.

Zentralamerika hat uns überrascht und tief beeindruckt. Im Nachhinein hätten wir uns vielleicht mehr Zeit für diese vielen kleinen Länder nehmen sollen, um noch mehr kennenzulernen, um noch mehr mit Menschen in Kontakt kommen zu können, um noch tiefer in die Kultur eintauchen zu können. Und doch sind wir froh, nun in Nordamerika zu sein.

Unsere vielen so positiven Erlebnisse knapp zusamenzufassen ist schier unmöglich. Wir haben so viele so gutmütige Menschen kennengelernt, die uns weitergeholfen, bei sich aufgenommen, Gespräche mit uns geführt oder einfach nur freundlich waren. Angefangen in Panama mit der doch irgendwie überraschenden Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die uns stets entgegengebracht wurde, über Costa Rica das so reich in seiner Pflanzen- und Tierwelt ist. Mit den hellroten Aras, die kreischend über einen hinwegfliegen oder sich über einem im Baum an den Früchten laben, den glasklaren Flüssen, den riesigen Krokodilen. Nach Nicaragua, das uns vielleicht am meisten überrascht hat. Die Offenheit mit uns über die Vorgänge in ihrem Land zu sprechen, das Vertrauen, das sie uns im gleichen Zuge schenkten, die menschenleeren Strände, die hoch aufragenden Vulkane, die Einfachheit zu trampen. Eine kurze Durchreise durch Honduras, das es sicher auch verdient hätte, länger und ausführlich besucht zu werden und dann nach El Salvador. In das Land mit der höchsten Mordrate der Welt und in dem niemand Tatoos trägt. Wer ein Tatoo hat, ist Bandenmitglied. Viele die sich bewerben, werden auf Tatoos untersucht. Und trotzdem: wir begegnen fast nur freundlichen Menschen, die unsere Neugier stillen und jede Frage beantworten, die offen und gastfreundlich sind. In Zentralamerika haben wir bisher mit Abstand die kürzesten Wartezeiten und riesigen Spaß auf der Ladefläche von Pick-Ups mitzufahren. Auch in Guatemala, dem Land der Vulkane, 32 an der Zahl. Mal stumme, mal laute Riesen, die uns ins Gedächtnis rufen, lange nicht alles im Griff zu haben, doch den natürlichen Gewalten nicht gewachsen zu sein. Das grüne schöne Tiefland, die herzlichen Menschen, die indigenen Trachten allerorts, so viele Sprachen, die wir nicht verstehen. Dann Belize, dem zentralamerikanischen Kontinent zugehörig, ist es doch eine ganz andere, eigene Welt. Englisch, die Queen auf den Geldscheinen, weniger Müll. Zeuge vergangener Zeiten. Beeindruckende Ruinen, glasklare Flüsse, wenige aber hilfsbereite Menschen, eine reiche Tier- und Pflanzenwelt, Jaguarspuren und Brüllaffengebrüll.

Es war eine wunderschöne und beeindruckende Zeit in Zentralamerika, eine Reise durch verschiedene Welten, die wir nie vergessen werden. Wir verlassen Zentralamerika mit unglaublich vielen eindrücklichen Erlebnissen und einer Vielfalt von Erfahrungen. Voll Dankbarkeit. Für all das was uns hier geschenkt wurde und das wir für immer mit uns tragen werden. Und wer weiß. Vielleicht kommen wir ja eines Tages wieder zurück.

Liebe Grüße,

Johann und Rebecca

(Rebecca)

Belize – Commonwealth in Lateinamerika

Wer hat schon mal von diesem Land gehört oder weiß gar etwas darüber? Vielleicht kennt man den Namen, aber wirklich etwas über das Land selbst wissen vermutlich nur sehr wenige. So ging es uns auch, bis wir dort waren. Ja, wir haben vorher schon etwas über Belize gelesen, aber man weiß eigentlich immer erst wie das Land ist, wenn man dort ist. Lasst euch in das kleine Karibikland, das es erst seit 1981 gibt, entführen!

Belize. Nur etwas größer als die Hälfte Baden-Württembergs, eingequetscht zwischen Guatemala und Mexiko. Staatsoberhaupt ist Elizabeth II, die Königin von England, womit das Land Teil des Commonwealth ist. Entfernungen werden in Fuß, Yard und Meilen, die Temperatur in Fahrenheit gemessen. God save the queen, zum Glück gibt es keinen Linksverkehr, sonst würde man ja noch vollkommen verrückt werden. Die Währung, der Belize-Dollar ist 2:1 an den US-Dollar gekoppelt. Amtssprache ist Englisch, die auch jeder kann, doch Verkehrssprachen in Belize sind unter anderem auch Kreolisch, Spanisch, verschiedene Maya-Sprachen und unter den Mennoniten Plautdietsch, eine vollkommen unverständliche Variante der deutschen Sprache. Sprich: alles ist anders!

Auf der anderen Seite der Grenze sprechen wir aus Gewohnheit noch immer Spanisch – zum Glück verstehen uns die meisten. Unser erstes Ziel ist die Maya-Ruine Xunantunich, das auf Deutsch soviel wie „Steinerne Frau“ bedeutet. Der Name geht auf eine Erzählung zurück, der zufolge schon mehrere Menschen den Geist einer Frau mit leuchtend roten Augen und ganz in weiß gekleidet gesehen haben sollen. Sie erschien ihnen am Fuße der größten Pyramide Xuanantunichs, ging die Treppen hinunter und verschwand in eine Steinwand. Wir werden bis vor den Eingang zu den Ruinen mitgenommen. Dabei fahren wir an einem unglaublich schönen und klaren Fluss entlang, der sehr zum Baden einlädt. Mit einer handbetriebenen Fähre geht es rüber und dann sind wir auch schon da. Es ist so wie man es aus Büchern oder Filmen kennt, nur noch viel gigantischer. Die meisten der Pyramiden, die sich um einen Platz in der Mitte der Anlage zentrieren, sind gar keine Pyramiden mehr. Eine scheint jedoch noch ganz zu sein. Sie ist riesig! Und das Beste: man kann auf sie hochklettern. Von oben hat man eine herausragende Sicht auf die Ansammlung Ruinen der Anlage. Drumherum sieht man nur Wald, der stellenweise von einer Siedlung oder Weide durchbrochen wird. Wieder unten angekommen schlendern wir noch ein wenig zwischen den Ruinen umher und machen uns dann gesättigt mit neuen Informationen und Eindrücken wieder auf den Rückweg.

Die Nacht wollen wir eigentlich auf einem wunderschönen Privatgrundstück auf der zu den Ruinen zugewandten Flusseite verbringen, werden dann jedoch trotz Erlaubnis der Besitzer von der Polizei auf die andere Flussseite verbannt. Aus Sicherheitsgründen… Auf der anderen Seite zelten wir neben der Hauptstraße im Müll und werden von einem sturzbetrunkenen Mann nach Geld für Rum gefragt. Wir lehnen dankend ab. „Aus Sicherheitsgründen“, das pulsiert noch den ganzen Abend ungläubig in unseren Köpfen umher. Naja, jedenfalls haben wir zumindest einen schönen Nachmittag mit Spielen und Baden auf einer schönen Wiese verbracht.

Hierzu eine kleine Anekdote:

Als wir ankamen haben wir gerade einen etwa ein Meter langen Leguan beobachtet, wie er vor uns in einen in Ufernähe stehenden Baum geflohen ist. Nun stehen wir beide noch im hüfthohen Wasser direkt am Ufer und beobachten die Fische, die an unseren Beinen und Füßen knabbern. Ich möchte die Fische erschrecken und mache eine plötzliche Handbewegung zusammen mit einem Schrei. In desem Moment sehe ich aus dem Augenwinkel, wie irgendetwas aus den weit über den Fluss ragenden Zweigen fällt und laut auf der Wasseroberfläche aufschlägt. Danach Stille. Rebecca schaut mit einem unterdrückten Grinsen zu mir und sagt, dass der Leguan gerade ins Wasser gefallen sei. Vor Schreck. Sie hat ihn genau gesehen. Ich pruste los und hoffe dabei inständig, dass Leguane schwimmen können. Als wir zum Tatort kommen, ist jedenfalls nichts mehr im Wasser. Kurze Zeit später sitzen wir auf der Wiese und spielen Karten. Rebecca gewinnt schon wieder und ich fluche laut. Und es fällt erneut ein Leguan aus dem Baum ins kühle Nass des Flusses. Entweder die Leguane benutzen den Baum als Sprungturm und vertreiben sich den Nachmittag, indem sie ein ums andere Mal ins Wasser springen, oder sie erschrecken sich tatsächlich vor meiner Stimme. Vorsichtshalber halte ich für den Rest des Nachmittages meinen Mund…

Ein unglaublich lautes, mehrminütiges Brüllen durchbricht das unaufhörliche Zirpen der Insekten des Waldes. So wie man es aus Löwendokus aus Afrika kennt. Es ist ganz nah und uns fährt ein kalter Schauer über die Rücken. Gerade sind wir mehrere Kilometer auf einem Schotterweg in den Regenwald gelaufen, um an einen Fluss zu gelangen, an dem wir zelten können. Eine halbe Stunde zuvor hatte es geregnet und 100 Meter vor dem Kiesstrand waren frische Katzenspuren im Schlamm zu sehen. Frisch, da sie sich im Gegensatz zu den Autospuren nicht mit Regenwasser gefüllt haben. Sieben Zentimeter lang, wir haben sie ausgemessen. Gerade haben wir begonnen unser Zelt aufzustellen, als dieses Brüllen unsere Körper hat erstarren lassen. So langsam stabilisiert sich der Kreislauf wieder und wir laufen mit einer Mischung aus Neugier, großem Respekt und mit der Kamera bewaffnet, ein Stück in die Richtung, aus der das Geräusch kommt. Unser beider Traum ist es, einen Jaguar zu sehen und doch haben wir sehr großen Respekt vor einer Begegnung mit der Raubkatze. Irgendwas bewegt sich doch da im Baum und Rebecca zoomt das dunkle Etwas mit der Kamera heran. Wir atmen auf. Es sind drei Brüllaffen, die in der Krone eines Urwaldriesen sitzen und diese durch Mark und Bein gehenden Schreie ausstoßen. Erleichtert und zugleich etwas enttäuscht bauen wir unser Zelt auf, baden im lauwarmen, glasklaren Fluss und machen Feuer. Leider haben wir für diesen wunderschönen Ort nicht noch mehr Zeit. Wir müssen weiter, da wir einen Freiwilligendienst bei Bacalar in Mexiko haben werden. Sicher ist jedoch eins: wenn wir mal wieder nach Belize kommen sollten, diesen Ort werden wir wieder besuchen!

Auf Ladeflächen sitzend rauschen wir durch das Flache Busch- und Waldland. Ein bisschen erinnert es an den feuchten Teil Paraguays. In dieser Landschaft würde es einen nicht wundern, wenn auf einmal Dinosaurier auftauchen würden. Zu Gesicht bekommen wir jedenfalls keinen… Am letzten Tag in Belize trampen wir bis zur mexikanischen Grenze und werden von einem jungen polnisch-lettischen Paar zu einem selbstgemachten Fischessen karibischer Art eingeladen, dürfen bei ihnen im Pool baden und duschen. Sie bringen uns dann sogar noch bis zur Grenze.

Ausgenommen einer Ortschaft (Corozal) haben wir uns in Belize sehr sicher gefühlt (wir waren nicht in der Hauptstadt), das Trampen funktionierte wunderbar und wir haben sehr nette Menschen getroffen. Belize war eine tolle Erfahrung, die wir jedem nur weiterempfehlen können. Wir waren vom Land unglaublich überrascht und begeistert. Die Leute, die wir getroffen haben, erzählten uns immer von den vielen unglaublich schönen vorgelagerten Inseln, Riffen, Atollen und Tauchparadiesen. Das vorgelagerte Riff stellt nach dem australischen Great Barrier Reef, das zweitgrößte Riff der Welt dar. Viele berichteten, dass das belizische Festland im Gegensatz zu den Inseln gar nicht so schön sei. Das soll was heißen, denn schon das Festland ist wunderschön! Auch scheint in Belize ein etwas anderer Rhythmus zu herrschen, denn uns wurde von jemandem erzählt, der an der Grenze etwas mit dem Auto regeln musste, dass das an einem Freitagabend einfach nicht ging, da die Beamten mit einem Barbecue beschäftigt waren. Sie hätten erst am folgenden Montag wieder Zeit für soetwas….

Als wir zur Grenze kommen, um uns den Ausreisestempel abzuholen und die horrend hohe Ausreisegebühr zu zahlen, treffen wir auf einen vor seinem Handybildschirm festklebenden Grenzbeamten. Wir warten kurz, bis er uns bemerkt und beinahe vorwurfsvoll sein Handy auf die Seite legt, auf dem das Ballerspiel noch immer weiterläuft. Während er die Pässe einscannt, beobachtet er das Spiel gespannt. Immer wieder hört man die Schüsse der Mit- oder Gegenspieler. Zu allem Überdruss müssen wir noch ein Formular ausfüllen, während er das Spiel fortsetzt. Wir haben eine Frage und nachdem er noch kurz jemanden erschossen hat, blickt er zu uns auf. Sein Blick sagt so viel wie „muss das jetzt sein!?“. Dann laufen wir auf die mexikanische Seite und hoffen, dass er das Spiel wegen uns nicht verloren hat.

Wir verlassen Belize mit einem lachenden und einem weinenden Auge…

Viele liebe Grüße vom Bacalarsee im Süden Mexikos, wo wir nun die nächsten vier bis fünf Wochen sein werden.

Rebecca und Johann 🙂

(Johann)

Guatemala – Im Land der Vulkane

Silvester wird ein Fest. Ein schönes und ruhiges im Kreise einer unheimlich lieben Familie. Jenny hat uns über Couchsurfing zu sich und ihrer Familie eingeladen. Nun sitzen wir am Tisch, gemeinsam mit Mutter Lidia, Vater Samuel, Jenny, ihrem Bruder Sami, ihrer Schwester Gaby und drei Freunden. Es ist einfach wunderschön. Wir essen von einem riesigen Stück gebackenem Schinken, dazu gibt es Salate und Brot und alle sind mit irgendjemandem ins Gespräch vertieft. Wir fühlen uns wie ein Teil der Familie, schon seit wir angekommen sind. Zuvor hatten uns Jenny und Sami auf eine Stadtrundfahrt mitgenommen, uns verschiedene Orte gezeigt, waren mit uns über den Markt geschlendert und hatten uns verschiedene typische Leckereien gekauft, die wir probieren durften. Kurz bevor wir das Haus betraten, eröffnete Jenny uns, dass ihr Vater keine Ahnung hat, dass wir kommen würden. Mit etwas gemischten Gefühlen gingen wir hinein und wurden so herzlich und mit offenen Armen empfangen, dass wir unsere Zweifel, ob wir hier wirklich erwünscht waren, schnell vergaßen. Wir saßen zusammen, knabberten Süßkram, besuchten Jennys Oma und verbrannten unglaublich laute Knaller. Um Mitternacht ließ das laute maschinengewehrartige Knallen darauf schließen, dass außer uns noch viele andere lange Ketten mit heftig knallenden kleinen Böllern gezündet hatten. Schönes buntes Feuerwerk, wie es bei uns am Himmel zu sehen ist, hielt sich hier eher in Grenzen.

Der nächste Tag wird entsprechend der langen Nacht eher kurz. Wir gehen Jennys andere Oma besuchen, die im Rollstuhl sitzt und sich, als ihre Enkel sie danach fragen, nicht mehr an ihre Namen erinnern kann. Da ihr mein Name noch einfällt, gibt sie Jenny, spitzbübisch grinsend, kurzerhand den Namen Rebecco. Wir machen einen Spaziergang, essen Schokobananen (die Früchte liegen in der Tiefkühltruhe und werden beim Kauf mit Schokolade überzogen) und reden über alles mögliche… Zum Beispiel über Vorurteile, die man in Lateinamerika von Europäern hat. Nämlich dass sich Europäer nicht duschen, sondern allerhöchstens Deo benutzen. Das 18:00 Uhr – Feuerwerk begleitet uns zurück nach Hause. Zu Neujahr gehört hier nämlich nicht nur das Feuerwerk um 0:00 Uhr sondern auch das um 12:00 Uhr und um 18:00 Uhr.

Es ist das erste Mal auf der Reise, dass jemand so viel mit uns unternimmt. Und es ist richtig schön. Gemeinsam brechen wir mit den drei Geschwistern am nächsten Morgen zeitig nach Antigua auf. Schon von weitem sehen wir den mächtigen Kegel des Volcán de Agua, der sich wie ein Riese hinter der kleinen Kolonialstadt Antigua erhebt. Einige Stunden schlendern wir zwischen bunten Häuserreihen und Kirchenruinen umher, schlecken Eis, liegen faulenzend auf einer Wiese und genießen den Blick vom Aussichtspunkt aus über die Stadt. Von einem Ort aus sieht man zwei weitere Vulkane: der Volcán Acatenango und der Volcán del Fuego. Aus letzterem stößt die Erde immer wieder ihren heißen Atem aus, der langsam als langgezogene grauweiße Wolke davonschwebt. Die Vulkane fesseln mich und ziehen mich in ihren Bann. Jedes Mal aufs Neue. Manchmal fällt es mir schwer zu fassen, dass es das was ich da sehe, wirklich gibt. Manchmal erscheinen sie mir eher als von einem anderen Planeten. Wie Wächter ragen sie ganz unvermittelt vor einem auf. Auf ihren Anblick wird man von der Natur nicht vorbereitet. Es sind nicht besonders schöne Berge inmitten von anderen, es sind die umliegenden Hügel weit überragende perfekt geformte Kegel, in deren Nähe man Ehrfurcht empfindet. Ehrfurcht vor diesen Urriesen selbst und vor der Natur. Die Vulkane rufen mir ins Gedächtnis wie klein und unbedeutend wir Menschen doch sind, wie mächtig und voll Kraft die Natur ist. Sie ist es, der wir unser Leben verdanken, das sie im Handumdrehen jedoch auch auslöschen kann.

Wir haben einen wunderschönen Tag zusammen, den wir ein paar Kilometer weiter ausklingen lassen. Zu fünft sitzen wir mit einer herrlichen Aussicht auf das in sanfte Hügel eingebettete Guatemala-Stadt und uns wird nach und nach jedes in Guatemala typische Gericht serviert. Wir probieren uns durch alles durch, nur den Kohl lassen wir lieber weg. Sicher ist sicher. Aus bestimmt sieben verschiedenen Gerichten (die alle sehr lecker waren) haben wir nachher drei Favoriten, bei denen wir beim besten Willen nicht entscheiden können, welches jetzt das beste ist. Dann gibt es noch eine Hauptspeise, dazu wird Atole (ein heißes Maisgetränk) getrunken, dessen Konsistenz gewöhnungsbedürftig ist, weshalb ich es lieber Johann überlasse, dem es sehr gut schmeckt. Die typischen Süßigkeiten dürfen wir natürlich nicht verpassen. Die nimmt uns Jenny für den nächsten Tag mit. Wir fühlen uns unglaublich wohl im Kreise der Geschwister, bzw der ganzen Familie. Dass die beiden Schwestern mich mit meinem Spitznamen „Beccy“ rufen, auf den sie selbst irgendwann zufällig gekommen sind, verstärkt mein Gefühl des Zusammengehörens nur noch. Auch in Guatemala-Stadt selbst fühlen wir uns wohl, obwohl sie in unserem Reiseführer als gefährlich und dreckig beschrieben wird. Diesen Eindruck haben wir nicht. Oftbkommt es einfach auch darauf an, auf was für Menschen man trifft.

Viel zu schnell müssen wir uns von dieser so lieben und herzlichen Familie verabschieden, die uns so viel hat miterleben lassen und so viel gegeben hat. Jenny und Gaby fahren uns noch etwa eine Stunde in die Richtung in die wir wollen. Dann müssen wir uns auch von ihnen schweren Herzens verabschieden. Nachdem das Auto verschwunden ist, suchen wir uns eine gute Stelle zum Trampen und strecken unsere Daumen aus. Wenigstens versuchen müssen wir es, dachten wir uns. Von der Grenze zur Hauptstadt hatten uns Salvadorianer mitgenommen, deshalb hatten wir keine Ahnung, was in Guatemala auf uns zukommen würde. Wir hatten nur in unserem Buch gelesen, dass Trampen in Guatemala im westlichen Sinne nicht üblich ist, da zu unsicher, dass man aber auf bestimmten Pickups (mit Aufbau und als Personentransportmittel gedacht) gegen Bezahlung mitfahren könne. Zwei Reisende, die wir in Costa Rica getroffen hatten und die auch per Anhalter unterwegs sind, hatten jedoch erzählt, trampen sei in Guatemala extrem einfach. Und tatsächlich: nach wenigen Minuten dürfen wir uns auf die Ladefläche eines Pickups setzen und los geht die Fahrt. Die Straße ist zweispurig und führt durch dicht besiedeltes Hochland. Die Vulkane um Guatemala Stadt soeben aus den Augen verloren, ragen schon die Vulkane rund um den Atitlan-See auf. Die letzten Kilometer werden wir von einer Frau in einem klapprigen und verstaubten alten Auto mitgenommen. Ein anderes Mädchen hat sie kurz vorher eingesammelt. Mir schwant Böses als das Mädchen nach dem Preis fragt und der Frau die gewünschte Summe gibt. Wir sind ganz offensichtlich in einer Art Freizeit-Taxi gelandet. Auch wir geben ihr den Betrag nach kuezem Hadeln und beschließen ab jetzt jedes Mal bevor wir einsteigen nochmal sicherheitshalber zu fragen ob man uns einen „ride“ geben will. Wir sind am Atitlan angekommen. Er liegt auf 1500 M.ü.M., in seinem Rücken ragen drei mächtige Vulkane in den Himmel. Es ist eine einzigartige Szenerie, an der man sich kaum sattsehen kann, hat man ein ruhiges Plätzchen gefunden. Wir verzichten auf die Bootsfahrt, die uns zu anderen Dörfern rund um den See führen und uns eine andere Sicht auf die Vulkane bescheren würde und suchen stattdessen auf der Seite des Sees auf der wir sowieso schon sind, ein ruhiges Plätzchen. In dem Ort herrscht jede Menge Trubel. Einheimische (einmal sehen wir eine Familie zu fünft auf einem Motorroller sitzen) und Touristen aus aller Herren Länder sind in den Straßen unterwegs. Restaurants, Hostels und Hotels bieten ihre Dienste an. Eine ganze Straße ist voller Kunsthandwerksstände in die die Verkäufer jeden vermeintlichen Kunden, der auch nur das allerkleinste Interesse an seinen Waren zeigt, auffordern einzutreten, bis man außer Hörweite ist. Indigene Frauen und Kinder in traditioneller Tracht verkaufen ihre Ware auf den Stegen und entlang des Wassers. Ihre Röcke und Oberteile sind farbenfroh. Jeder hat seine ganz eigene bunte Kleidung. Überall tragen Frauen Körbe oder zusammengeknotete Tücher mit verschiedensten Habseligkeiten auf den Köpfen. Wir sind in einer ganz anderen Welt.

Unser nächstes Ziel ist Monterrico, ein kleiner Küstenort direkt am Pazifik, den wir am späten Nachmittag erreichen. Wir waren uns nicht sicher, ob wir den Ort an diesem Tag überhaupt noch erreichen könnten, da wir erst recht spät aufgebrochen waren und dann erst nach einer halben Stunde feststellen mussten, dass wir auf diesem Wege wohl kaum unser Ziel erreichen würden. Während unsere Karte eine durchgängige Straße eingezeichnet hatte, erzählten uns die Einheimischen, dass es diese Straße nicht gäbe. Wir mussten Panajachel also daraufhin ersteinmal zu Fuß vom einen zum anderen Ortsausgang durchqueren, bevor wir wieder trampen konnten. Für eine Strecke von etwa 250 Km., die zudem nicht immer auf der Hauptroute verlief, brauchten wir zu guter Letzt nur vier Stunden. Dabei waren wir in, bzw. auf sieben verschiedenen Fahrzeugen mitgefahren! Ihr könnt euch vorstellen, wie wenig wir warten mussten. Unsere vorletzte Mitfahrgelegenheit war dabei eine besondere Erfahrung: Gemeinsam mit einem Schäferhund fahren wir auf der Ladefläche Richtung Küste. Er ist ein bisschen unruhig und findet keine gemütliche Sitzposition, zumal wir ein Viertel der Ladefläche einnehmen. Die privaten Gegenstände der Familie brauchen etwa die Hälfte der Ladefläche und der Hund hat nurnoch ein kleines Viertel. Als Rambo sich vorwärts ausrichtet sage ich im Spaß zu Johann er müsse sich vorwärts setzen weil ihm sonst schlecht würde. Zu früh gelacht. Es geht noch 5 Minuten gut, dann hört der Gutste plötzlich auf zu hecheln und übergibt sich in seine Ecke. Jetzt ist die Fahrt nicht mehr so lustig. Verzweifelt versuchen wir uns und unsere Rucksäcke vor dem Erbrochenen zu schützen. In den Rillen der Ladefläche schwappt es langsam bei jeder Unebenheit oder Steigung auf uns zu. Rambo ist auch nicht so begeistert, als er einmal hineintritt. Angeekelt hebt er die Pfote an. Doch irgnwann ist es ihm egal und jedes Mal wenn er auftritt, müssen wir den Spritzern ausweichen. Wir sind froh, als wir endlich aussteigen können.

Wir stellen unser Zelt am Strand auf – zwischen Palmen und unendlich viel Müll. Der Müll ist überall anzutreffen, am Straßenrand, auf Spielplätzen, überall. Einmal fahren wir sogar an einer Art sporadischen Mülldeponie vorbei, wo scheinbar aller Müll nur den Abhang hinuntergekippt und angezündet wird. Büsche und Bäume sind unter den stinkenden Massen begraben, Hunde und Geier suchen nach Fressbarem. Doch zurück nach Monterrico: Wir wollen am nächsten Tag der Befreiung von kleinen Schildkröten zusehen. Da Schildkröteneier sehr gerne ausgegraben und gegessen werden (von Menschen nicht von irgendwelchen Tieren) muss man Wege finden, die Meeresbewohner zu schützen. Die frisch gelegten Eier werden ausgegraben und geschützt wieder eingegraben. Sind die Schildkröten geschlüpft, werden sie dann in ihr Leben entlassen. Touristen kommen von November bis Februar jeden Sonntag, um die Schildkrötenbabys freizulassen. Jeder (der bezahlt hat) bekommt eine Kokosnussschale in die Hand, in die eine kleine Schildkröte gesetzt wird. Gleichzeitig lassen alle die kleinen Tiere aus den Schalen krabbeln. Unbeholfen, die einen schneller, die anderen langsamer, machen sie sich auf den Weg ins Meer. Wackelig robben sie auf das Wasser zu. Die einen haben Glück und werden von einer Welle bis hinter die Brandung getragen, andere werden von Wellen erfasst und am oberen Ende abgesetzt. Es ist ein schönes und irgendwie auch ergreifendes Bild zu sehen, wie diese kleinen Geschöpfe den Weg in ihr Leben finden. Zur gleichen Zeit neigt sich die Sonne als glutroter Feuerball dem Horizont entgegen. Ich weiß gar nicht, was ich lieber zusehen möchte. Mit dem Untergang der Sonne wird auch die letzte Schildkröte von einer Welle erfasst und vom Wasser davongetragen. Was sie da draußen wohl erwartet?

Auch die nächste Strecke schaffen wir in einem Tag. Wir kehren ins Hochland zurück, passieren dabei den Volcán Santa Maria mit seinem kleinen Nebenvulkan Santiaguito. Letzterer ist wie der Auspuff des Santa Maria. Er ist grau von Asche und Sand und pustet regelmäßig seinen heißen Atem in den Himmel. Einen der vielen Vulkane hier besteigen, das wäre schön. Doch wir beschließen, dass unser Budget das eher nicht zulässt. In der Stadt Xela oder auch Quetzaltenango genannt, steigen wir aus. Die Kälte überrascht uns. An der Küste war es fast schon brütend heiß, hier müssen wir zum ersten Mal seit mehreren Monaten mal wieder Pulli UND Regenjacke anziehen. Es hat tatsächlich unter 10ºC Grad. Tatsächlich hatten wir das irgendwie nicht erwartet. In unserer Vorstellung war ganz Guatemala warm. Aber wir genießen die Kälte. Nach so langer Zeit der Wärme und des Schwitzens kommen uns die zwei Tage, die wir in einer Pfirsichplantage über Couchsurfing verbringen dürfen, sehr gelegen. Wir erkunden den Markt im Nebenort. Früchte aller Art werden hier verkauft. Wie immer gibt es fast von allem etwas. Alte, gebückte Frauen drängen sich die schmalen Gänge zwischen den Ständen entlang, ein Mann ohne Beine schiebt sich auf einem Skateboard mit einem Holzklotz in der Hand zwischen den Beinen entlang und nimmt Almosen entgegen, ein Kind steht mit seinem blinden Vater inmitten des Gedränges, schüttelt einen Becher mit Geld und bittet um Geldstücke, indigene Frauen in schöner traditioneller Kleidung tragen Körbe mit Kleidung, Früchten, Teig oder auch Hühnern auf dem Kopf. Zur Balance haben sie ein zusammengerolltes Tuch zwischen Korb und Kopf. Es ist ein heilloses Durcheinander, das uns jedoch jedes Mal aufs Neue anzieht und fasziniert. Es ist kunterbunt. Geschubse und Gedränge machen niemandem etwas aus, niemand wird böse. Selbst als ein Frau im Vorbeigehen einer Marktfrau vier Tortenstücke vom Tisch fegt, gibt diese nicht ein böses Wort von sich. Diese Ruhe und Gelassenheit der Menschen finde ich schon sehr bewundernswert. In den engen „Chickenbuses“, wie die engen Busse, die in ganz Zentralamerika verkehren, von Ausländern gern genannt werden (weil die Leute alles darin transportieren, eben auch Hühner) ist es dasselbe. Durch die engen Gänge passen wir mit unseren Rucksäcken kaum, wenn wir mal einen Bus nehmen müssen (zum Glück war das in Guatemala nur einmal der Fall, als wir die letzten Kilometer nach Guatemala-Stadt zurücklegen mussten). Wenn der Bus jedoch voll ist, quetschen sich auch im Gang die Leute wie die Ölsardinen zusammen. Und dann muss natürlich einer von ganz hinten aussteigen…

Es geht weiter durch den Westen Guatemalas, über eine weniger befahrene Straße. Auf der Suche nach einem Zeltplatz sprechen wir am Abend einen Mann mittleren Alters an und fragen ihn, ob er einen Platz für unser Zelt wüsste. Daraufhin schließt er uns seine Haustür auf und zeigt uns ein Zimmer in dem wir die Nacht verbringen dürfen. Alles was er uns sagt, zeigt er mit großen Handbewegungen, weil er das Gefühl hat, wir verstünden ihn nicht. Er, seine Schwester und seine Mutter wissen nicht so richtig etwas mit uns anzufangen, sind sehr schüchtern aber auch sehr zuvorkommend. Mit der Schwester kommen wir ein wenig ins Gespräch. Als wir die drei am nächsten Tag verlassen, haben wir sie schon ins Herz geschlossen. Es geht langsam weiter, immer von Ortschaft zu Ortschaft. Mal auf der Ladefläche eines Pickups, mal im Auto. Ein Mann schenkt uns an einem der Hühnchenstände die er verwaltet frittiertes Hühnchen und gegen Nachmittag haben wir das große Glück zwei Männer zu erwischen, die uns die restlichen Kilometer Holperpiste bis Cobán mitnehmen. Unterwegs halten sie zweimal, um einmal einer Frau, einmal zwei Kindern ein paar Münzen zuzustecken. Sie füllen die Löcher in der Straße auf, die aus politischen Gründen nie fertiggestellt wurde. Das vielleicht vierjährige Mädchen schaut den Beifahrer bettelnd an un sagt wieder und wieder: „No hay agua!“ (Es gibt kein Wasser!), während ihr wenige Jahre älterer Bruder am Fenster des Fahrers um mehr Geld bittet. Nachdem wir die beiden hinter uns gelassen haben, frage ich die Männer, was das Mädchen meinte. Man sieht an den mit Wasser gefüllten Löchern und der matschigen Straße, dass es erst kürzlich geregnet haben musste. Einer der beiden erklärt uns, dass die Kinder um Süßgetränke betteln, bzw. um das Geld um sich diese zu kaufen. Er erzählt uns, dass es ein großes Alkoholproblem gäbe und den Kindern oft nur die Möglichkeit bleibt zu betteln, weil ihre Eltern sie sich selbst überlassen. Auch staatliche Hilfen für Schulausrüstung würden oft im Glas landen. Ein anderer Mann hatte uns erzählt, die Hilfen gäbe es aus genau diesem Grund nicht mehr…

Wir dürfen die nächste Nacht bei der Schwester und der Mutter von Jennys Freundin verbringen, die mit einem Hund, einem Fisch und einer Schildkröte in Cobán leben und uns herzlichst empfangen. Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft die wir erfahren dürfen, erstaunt uns immer wieder, genauso wie die Herzlichkeit und Offenheit so vieler Menschen. Bei Nicolle und iher Mutter erfahren wir das einmal mehr. Als wäre es nicht genug, uns bei sich aufzunehmen, schenkt sie uns noch ein halbes Kilo Plätzchen, von denen sie zu Weihnachten sage und schreibe 25 Kg gebacken hat, vier gute Stückchen Wurst und ein Stück Weihnachtskuchen mit Rum. Wir wären dann versorgt…

Zwei Polizisten nehmen uns auf der Ladefläche ihres Streifenwagens mit. Bei einer kurzen Pause erzählt uns der eine, er hätte noch vier Jahre bis zur Rente. Wir müssen ihn aufgrund seines Alters ein bisschen komisch angeschaut haben, denn er erzählt uns daraufhin, dass man nach 20 Jahren der Arbeit die Möglichkeit hat, in Rente zu gehen. Das erklärt, warum ein geschätzt Mittdreißiger in vier Jahren in Rente gehen kann. Bei uns würde so manch einer Luftsprünge machen, wenn er so früh schon in Rente gehen könnte. Dabei kann ich mir kaum vorstellen, dass man von der Rente in Guatemala halbwegs ordentlich leben kann, da schon der Mindestlohn, am Tag nur so viel ist, wie in Deutschland in einer Stunde.

Wir sind inzwischen im Tiefland, also im Regenwald angekommen. Man sieht allerdings nur selten richtigen Wald. Es gibt große Plantagen von Ölpalmen und Weidelamd, dort wo ursprünglich Regenwald war. Und doch ist die Landschaft sehr schön. Bizarre bewaldete Hügel, die wie riesige wahllos hingeworfene Felsbrocken aussehen, machen die Fahrt durch das Grün nur noch schöner. Inmitten dieser Umgebung bleiben wir zwei Tage auf einem Campingplatz, den wir ganz für uns alleine haben. Ein breiter, aufgrund des Regens leider brauner Fluss fließt aus einer Höhle heraus. Das Wetter ist entgegen unseren Erwartungen nicht heiß sondern genau richtig. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm und abends kühlt es ab. Morgens weckt uns das Blöken der Schafe, die auf der Wiese das Gras kurz halten. Wir spielen, schaukeln auf einer Schaukel über dem Fluss und baden.

An dieser Stelle eine kleine Anekdote:

Erst vor kurzem haben wir uns ein neues Shampoo gekauft. Unsere 750 ml-Flasche ist bis zum Rand voll mit Shampoo. Wahrscheinlich ist sie das immernoch. Wir haben gerade gebadet und wollen uns noch waschen. Johann holt also die Flasche und bleibt oberhalb am Ufer stehen. Er holt Schwung um mir die Flasche zuzuwerfen. Beim ersten Mal kann ich ihn noch durch irgendeine Frage auf einen anderen Gedanken bringen, zumal ich davon ausgehe, dass es ein Witz ist, dass er die Flasche ins Wasser schmeißen will, damit sie dann zu mir runtertreibt und ich sie raushole. Und dann tut er es doch und steht am Uferrand und wartet, dass die Flasche wieder auftaucht. Eine Flasche mit 750 Milliliter Shampoo. Nein, die schwimmt nicht! Aber ich glaube, das hat er jetzt auch verstanden. Dank des trüben Wassers haben wir sie natürlich nicht wiedergefunden…

Als wir am Abend im Ort direkt an der Grenze zu Belize in unserem Zelt übernachten, denken wir an unsere Zeit in Guatemala zurück. Wir waren anfangs sehr skeptisch, was das Trampen und Zelten hier betraf, hatten uns darauf eingestellt womöglich viel Bus zu fahren und in Hostels zu übernachten. Man hört und liest viel über Guatemala, viel Gutes was die Natur und Sehenswürdigkeiten betrifft (es gibt viele Mayaruinen zu besichtigen) und viel weniger Gutes von Raubüberfällen bis zu Entführungen und Todesfällen. Doch tatsächlich haben wir uns sehr sicher gefühlt, sind unglaublich vielen offenen und herzlichen Menschen begegnet und mussten keine schlechte Erfahrung machen. Selbst in Guatemala-Stadt, das als besonders gefährlich hervorgehoben wird, fühlten wir uns sicher und wohl, was vielleicht auch zum Teil an den lieben Menschen lag, mit denen wir die Stadt kennenlernen und unterwegs sein durften. Guatemala wird uns als recht dicht besiedeltes aber schönes, besuchenswertes Land mit großer Vielfalt und warmherzigen und hilfsbereiten Menschen in guter Erinnerung bleiben.

Viele liebe Grüße,

Johann und Rebecca

(Rebecca)

Honduras und El Salvador – ein kurzer Besuch und ein kleines Land mit großen Überraschungen

Gegen Nachmittag übertreten wir die Grenze zu Honduras und verlassen ein Land, das uns sehr überrascht hat und eine sehr positive Erfahrung war. Über Honduras haben wir im Vorfeld schon einges gelesen. Hauptsächlich negatives. Liest man so manches, dann hat man beinahe Angst, man könne das Land nur mit Glück wieder lebend verlassen. Ein anderer Reisender, den wir in Panama getroffen hatten, zog es sogar in Betracht, Honduras zu überfliegen. Das kam für uns zwar nicht in Frage, aber dennoch betreten wir Honduras mit gemischten Gefühlen. Wir nehmen uns zwei Tage Zeit, den etwa 100 Kilometer breiten Südzipfel des Landes zu durchqueren. Wir haben bereits für Weihnachten eine Verabredung über Couchsurfing in Santa Tecla in El Salvador.

Da es bereits recht spät ist, nehmen wir einen Minibus in den nächsten Ort, wo wir dann gleich die örtliche Feuerwehr aufsuchen. Dort angekommen wissen die Männer auch schon gleich nach was wir fragen wollen. Es gibt wohl sehr viele Reisende, die von Feuerwehr zu Feuerwehr reisen und dort übernachten. Während unsere Passdaten noch in eine Liste eingetragen werden, zeigt uns einer der Angestellten einen Platz für unser Zelt im Hinterhof. Sogar Duschen und Trinkwasser gibt es.

Während wir kochen gesellen sich zwei junge Feuerwehrmänner zu uns. Sie fragen uns aus, über Deutschland und Europa, unsere Reise und natürlich auch, was man in Deutschland so verdient. Sie können es kaum glauben, dass sie an einem ganzen Tag so viel verdienen wie man bei uns in einer Stunde verdient und beschließen nach Deutschland zu gehen. Dann sind sie dran mit erzählen. Sie berichten über ihren Präsidenten, Korruption und vor allem über die weit verbreitete Armut im Land. Viele haben keinen Zugang zu sauberem Wasser und einige können sich keine Nahrungsmittel leisten. Das alles während wir uns beide zusammen 500 Gramm Nudeln kochen und danach verdrücken. Sie erzählen, dass sie immer wieder Kinder von Müllhalden aufsammeln müssen, die dort nach Essbarem suchen. Außerdem, so berichtet uns einer der beiden, ist es selbst für die Feuerwehr sehr gefährlich in bestimmte Stadtviertel zu gehen. Auch weil die Leute oft denken, dass sie auf Seiten der Regierung wären, da sie eine staatliche Einrichtung sind.

Am nächsten Morgen stehen wir früh am Ortsausgang von Choluteca und halten unsere Daumen in den Verkehr. Es ist ein heilloses Durcheinander der in alle Richtungen fahrenden Autos. Begleitet wird das ganze von einem Hupkonzert. Immer wieder fahren Pferdewägen an uns vorbei, an denen die österreichische Flagge hängt. Symbolisieren soll sie Österreich aller Wahrscheinlichkeit allerdings nicht. So langsam kommen auch immer mehr Menschen dazu und kurze Zeit später sind wir Teil einer Demonstration. Wir verlassen den Ort, als gerade schwer bewaffnete Polizisten auf Pick-Ups angefahren kommen und die Straße sperren. Das Trampen hat nun keinen Zweck mehr und wir steigen in einen Bus, der uns bis zur salvadorianischen Grenze fährt. Hier endet das kurze Abenteuer Honduras. Wir haben zu wenig Zeit in Honduras verbracht, um einen richtigen Eindruck von dem Land zu bekommen. Wir haben uns jedoch zu keinem Zeitpunkt unsicher oder gar bedroht gefühlt und hätten gewünscht, etwas mehr Zeit gehabt zu haben, um das Land besser kennenzulernen.

Nach einem kurzen Snack an der Grenze betreten wir El Salvador. Gleich merken wir, dass es hier viel ruhiger zugeht als im Nachbarland Honduras. Und wir werden auch gleich mitgenommen. In einem größeren Ort dann, müssen wir ein Stück laufen, während uns mehrmals das Wort „Gringo“ (eine Bezeichnung für US-Amerikaner, die auch als Schimpfwort genutzt wird) hinterhergerufen wird und ich dabei einmal von einem alten Mann, mit einem Stock einen Schlag auf meinen Allerwertesten verpasst bekomme. Wir können es kaum glauben, dass die Salvadorianer das netteste Völkchen in Mittelamerika sein soll, so wie es unser Reiseführer beschreibt. Aber die Dinge ändern sich ja manchmal schneller als man mit der Wimper zucken kann. Gegen späten Nachmittag stehen wir in einem Ort, etwa 150 Kilometer vor der Hauptstadt San Salvador, der sich aus ein paar Straßenständen und einer Polizeistation zusammensetzt. Es wird bereits dunkel und wir wissen nicht so recht wohin mit uns, denn zelten können wir hier nicht, so viel steht fest. Just in diesem Moment hält ein Bus neben uns. Wir fragen kurz was es kostet, wenn man uns bis in die Hauptstadt mitnehmen würde. Sie wollen drei Dollar, doch nach kurzem Überlegen entscheiden sie sich dazu, uns kostenlos mitzunehmen. Wie lieb von ihnen.

Doch am Busbahnhof, der etwas außerhalb liegt, wartet schon das nächste Problem auf uns. Wir wissen nicht wohin. Wir wissen nicht, wie wir ins Zentrum kommen sollen und wo wir da am besten aussteigen. Taxifahrer, Ladenverkäufer und schwer bewaffnete Sicherheitsleute versuchen uns zu helfen, doch da jeder etwas anderes sagt, wissen wir noch immer nicht, was wir jetzt am besten machen. Gerade als wir uns entscheiden, im Busterminal zu schlafen, kommt eine Frau auf uns zu, die uns sagt, dass sie uns mitnehmen könne und uns zu einer Unterkunft bringt. Die Frau stellt sich uns als Elida vor. Sie lebt mit ihrem Mann David und ihrem zweijährigen Sohn Emanuel in Nicaragua. Über Weihnachten und Silvester sind sie allerdings auf Heimatbesuch in El Salvador. Während der Fahrt telefoniert sie zunächst mit mehreren sehr teuren Hotels, bis sie sich entscheidet, uns zu ihrer Freundin mitzunehmen, wo auch sie übernachten wird. Hier in Lateinamerika gehen die Menschen viel weniger kompliziert mit so etwas um, als bei uns. Angekommen bei der Freundin werden wir sehr herzlich begrüßt und einen eigenen Raum mit einem frisch bezogenen Bett, wie wenn man uns schon lange im Voraus erwartet hätte. Wir werden dazu eingeladen, mit ihr die Nacht über tanzen zu gehen, worauf wir beide nicht gerade erpicht sind. Zum einen sind wir todmüde und zum anderen halten sich unsere Tanzkünste nun wirklich in Grenzen. Elida hilft uns aus der Patsche, indem sie uns zum Essen einlädt. Wir essen Pupusas, das Nationalgericht in El Salvador. Pupusas sind gefüllte Reis- oder Maismehlfladen, die man mit eingelegtem Kraut und Tomatensoße und mit den Fingern isst. Die Füllungen beinhalten alle Käse, wahlweise ohne weitere Zutat oder gemixt mit Bohnenmus, einem uns unbekannten Gemüse oder Schweinefett. Dazu wird gerne eine heiße Schokolade oder Kaffee getrunken. Es ist erstaunlich mit welcher Fingerfertigkeit und Geschwindigkeit das Essen zubereitet wird. Es schmeckt unheimlich gut und wir genießen das Essen in vollen Zügen, auch wenn wir es später bereuen werden.

Zuhause auf dem Sofa, die Freundin ist bereits weg, kommen wir über die Maras ins Gespräch, etwas, das uns schon die ganze Zeit auf der Zunge brennt. Als Maras werden hier die Mitglieder bestimmter krimineller Banden bezeichnet. Da die ganze Angelegenheit ein großes Problem darstellt, redet man am besten nur zuhause und nur mit Vertrauten darüber. Das Problem gibt es in dieser Form erst seit 2005 in El Salvador, hat ihren Ursprung jedoch in Los Angeles in den USA. Dort haben sich bereits in den 70ern Gangs gebildet. Bestehend vor allem aus mittelamerikanischen Einwanderern, die dort mit Diskriminierung und Perspektivlosigkeit konfrontiert waren. Es formierten sich neben vielen kleineren Gruppierungen insbesondere zwei größere heraus. Einmal die MS-18 und die MS-13 („mara salvatrucha“), die sich damals schon feindselig gegenüberstanden. In den 90ern und auch später noch, versuchte die USA das Problem aus ihrem Land zu entfernen und schob tausende Bandenmitglieder in ihre Ursprungsländer ab. Besonders El Salvador, Honduras und Guatemala wurde nun ein Problem zugeschoben, das in den USA entstanden war und mit dem sie selbst nur bedingt etwas zu tun hatten. Bei dem ganzen Konflikt geht es in der Hauptsache um Macht und Einfluss. In den Städten werden ganze Statdviertel von bestimmten Banden kontrolliert, ihre Mitglieder meistens männlich und zwischen 10 und 40 Jahren alt. Doch auch im ländlichen Raum gibt es Gebiete, die unter der Herrschaft der Maras stehen. Diese kriminellen Vereinigungen finanzieren sich vor allem durch Raub, Schutzgelderpressung, Menschen-, Waffen- und Drogenhandel. Je größer das Gebiet, desto höher die Einnahmen. Menschen die in den von einer der Banden kontrollierten Vierteln leben, mit ihnen aber nichts zu tun haben, leben in ständiger Gefahr. So lange sie in ihrem Viertel bleiben, passiert wohl normalerweise nichts, wenn sie allerdings ein Viertel betreten, das von einer anderen Bande kontrolliert wird, begeben sie sich in Lebensgefahr. Man könnte sie aufgrund des Spionageverdachts töten. Immer wieder kommt es so auch in öffentlichen Bussen zu Attacken und Konflikten zwischen Gangmitgliedern. Man sagt uns, dass Touristen normalerweise keine Probleme bekommen, dennoch muss man auf der Hut sein und bei einem Konflikt in einem Bus hilft einem der Touristenstatus auch nichts. Man merkt, dass die Menschen in diesem Land sehr unter dem Bandenkonflikt leiden. Sie können sich nur eingeschränkt bewegen, müssen vorsichtig sein, kein falsches Gebiet zu betreten. Er beherrscht ihren Alltag. Es ist ein riesiges Problem, das aus den USA importiert wurde und ein Land, welches es sowieso schon nicht gerade einfach hat, vor so viele weitere Probleme stellt.

Für Weihnachten sind wir mit Armando verabredet, der in Santa Tecla lebt, einer Großstadt, die direkt mit San Salvador verbunden ist. Als wir einen Tag vorher ankommen, werden wir total herzlich empfangen und machen mit ihm, einem anderen Couchsurfer von den Phillippinen und Armandos Hund Chocovito einen langen Spaziergang. Am Abend werden wir von Armandos Freunden erneut zu Pupusas eingeladen…

An Weihnachten selbst passiert erstmal nicht sehr viel. Auch sind wir nicht besonders in Weihnachtsstimmung, da wir erstens die Temperaturen nicht mit Weihnachten in Verbindung bringen können und seit Wochen die Weihnachtslieder die wir kennen auf Spanisch und nur im Discostil auf und ab laufen. Um ehrlich zu sein, wir verbringen den Tag im Bett und auf dem Sofa. Zwischendrin versuchen wir Weihnachtsplätzchen zu backen, etwas was man hier in Mittelamerika und auch auf den Phillippinen nicht kennt. Zudem ist Armando seit den frühen Morgenstunden verschollen und bleibt unauffindbar, bis er uns spät schreibt, dass er bei seiner Familie im Nachbarviertel ist und wir dort zum Abendessen willkommen sind. Also fahen wir mit Sack und Pack zu seiner Familie. Wir werden von Armandos Mutter, Bruder und irgendwelchen entfernten Verwandten begrüßt, die schon gegessen haben und gerade auf dem Absprung sind, um andere Verwandte oder Freunde zu besuchen. Traditionellerweise isst man hier an Weihnachten eigentlich erst um 24 Uhr zu Abend, doch wir bekommen das Essen etwa drei Stunden vorher auf unsere weißen Plastik-Partyteller geladen. Es gibt Fleisch mit Salat, Reis und Tortillas. Zum Trinken stehen Pepsi und andere Süßgetränke auf dem Tisch. Das Ganze während sich die anwesenden Hunde gegenseitig fast zerfleischen. Tatsächlich empfinden wir Weihnachten hier als eher ungemütlich. Die Läden haben den ganzen Tag bis in die späten Abendstunden geöffnet, die Restaurants und selbst Diskotheken haben ihre Pforten geöffnet. Auch dieses ganze Bling-Bling im Vorfeld und die elektronischen Weihnachtslieder machen einem jegliches Weihnachtsgefühl zunichte. Weihnachten ist im Prinzip wie eine Geburtstagsfeier (okay, es ist ja auch eine Geburtstagsfeier), bei der man kommt und geht wann man will und die Wochen und Tage davor so sind wie sonst auch. Es gibt auch kein gemeinsames Geschenkeauspacken, sondern jeder packt seine Sachen halt irgendwann aus und das war´s. Das finden wir irgendwie schade. Um 24 Uhr beobachten wir das Weihnachtsfeuerwerk vom Dach des Hauses aus. Irgendwie haben wir insgesamt das Gefühls als seien wir auf einer vorgezogenen Silvesterfeier eingeladen.

Was am Abend des 24. bereits seine ersten Anzeichen zeigte, vervollständigt sich in der folgenden Nacht und entfaltet sich am 25. regelrecht. Wir liegen beide mit Durchfall und Erbrechen im Bett und wollen nichts von der Welt wissen. Wir werden von Armando und seiner Mutter mit antibiotischen Medikamenten, Tabletten und Kokossaft versorgt (erstere beide haben wir heimlicherweise nicht eingenommen). Ja, wir haben uns so richtig den Magen verdorben. Die Übeltäter lassen sich in unseren Hinterlassenschaften feststellen. Es sind die Pupusas oder vielmehr das eingelegte Kraut. Auf wackeligen Beinen machen wir uns gegen Nachmittag zusammen auf den Heimweg zu Armando, wo wir erneut ins Bett fallen. Am 26. geht es uns bereits besser, auch wenn wir uns noch immer schwach fühlen. Wir stehen am Abend zusammen mit Armando und Ericson (dem Phillippiner) auf dem Markt und versuchen unseren selbstgemachten Schmuck an den Mann zu bringen, während Armando neben uns seine selbstgemachten Moosgummihüte verkauft. Uns fallen besonders die schwer bewaffneten patroullierenden Soldaten auf. Ein Bild, das in El Salvador ganz alltäglich ist, bei uns jedoch Unbehagen auslöst.

Am Tag darauf treffen wir uns erneut mit Elida, der Frau, die uns in San Salvador so sehr geholfen hat und besuchen zusammen mit ihr und ihrem Sohn zuerst Mayaruinen und dann ein Schwimmbad mit Naturbecken und Fischen darin, die einem an den Füßen knabbern. Gegen Abend stehen wir wieder zusammen mit Armando und Ericson auf dem Markt. Unser Verkaufserfolg ist gleich Null.

Auf den 28. des letzten Monats haben wir nur gewartet, denn an diesem Abend gibt es ein großes Fest zu Ehren der Schutzheiligen des Viertels, in dem die Familie von Armando lebt. Die Gläubigen präsentieren in einer nachmittaglichen Prozession zunächst die von Herodes ermordeten Kinder (die Schutzheiligen), in Form von Puppen und geschmückten schiebbaren Tischen. Ein paar verkleidete, böse aussehende Gestalten, die wahrscheinlich die Mörder der Buben darstellen, sind auch unterwegs und sammeln Geld. Als es dunkel wird, wird die Straße geräumt und per Lautsprecher verkündet, dass das folgende Event nur auf eigene Gefahr zu besuchen ist und alle Kinder aus dieser Zone gebracht werden sollen. Und dann beginnt ein Spektakel, das wir beide so schnell nicht vergessen werden. Es gibt vier Stunden Feuerwerk. Allerdings kein Feuerwerk, bei dem man einfach dasteht und zuschaut, nein, man muss sich in Acht nehmen, sich gegebenenfalls wegducken oder gar wegrennen. Es laufen mehrere Männer mit einem Holzgestell mit aufgemaltem Stierkopf auf der Straße auf und ab. An dem Gestell sind verschiedene Feuerwerkskörper befestigt, die ganz zufällig in alle Richtungen in die Menschenmenge schießen und dort explodieren. Zwischendrin fliegen sehr große funkensprühende Wirbel mit einem Affenzahn in die Menschenmenge. Zwischendrin ziehen wir uns lange Kleidung an. Diese interaktive Show wird dabei von einem Blasorchester kommentiert.

Nach vier ganzen Stunden, einigen Verbrennungen und vielen Löchern in den Kleidern der Leute endet das Ganze mit riesige, brennenden Buchstaben, welche auf den Grund des Ereignisses verweisen: die Ehrung der Schutzheiligen. Direkt im Anschluss muss der ganze Dreck dann von mehreren Dutzend Helfern gereinigt werden, während sich der Rest auskuriert, um am folgenden Tag zu arbeiten. Wir hingegen ruhen uns am folgenden Tag lange aus und packen dann unsere Sachen zusammen, bevor es am 30. Dezember in Richtung Guatemale geht.

Auf dem Weg dorthin fahren wir auf der sogenannten „Blumenstraße“, an der es zur Zeit, es ist ja Trockenzeit, gar nicht so besonders blüht. Dennoch können wir eine hervorragende Aussicht auf einer wunderschönen Straße genießen. Das schöne an der ganzen Sache ist, dass wir hier überall extrem schnell mitgenommen werden und so bereits am frühen Nachmittag an der guatemaltekischen Grenze stehen. Dass wir noch am selben Tag nach Guatemala-Stadt kommen, darf ich eigentlich noch gar nicht verraten…

Viele liebe Grüße vom Atitlán-See in Guatemala!

Rebecca und Johann

(Johann)