Ein kleiner uruguayischer Hof

Schon vor unserer Abreise haben wir uns über Workaway ein paar passende Höfe in Uruguay und Argentinien ausgesucht, wobei wir drei positive Rückmeldungen bekommen haben. Der Hauptgrund, der uns veranlasste, recht bald nach unserer Ankunft in Südamerika auf einen Hof zu gehen, war der, dass wir der Meinung sind, dass es für uns gut wäre, an einem bestimmten Ort ein bisschen in die Sprache und Mentalität der hier lebenden Menschen reinzukommen. Wir entschieden uns letztendlich für einen kleinen Hof in der Nähe von Rocha in Uruguay. Obwohl sich dieser Hof auf den Gemüseanbau konzentriert und ausschließlich zwei Pferde als „Nutztiere“ hat (mit denen als wir da waren nichts gemacht wurde), entschieden wir uns aufgrund der Lage und der Familie für diesen Hof.

Der Hof selbst liegt recht abseits, d.h. man kommt über eine 6km lange Schotterpiste und anschließend 2km Feldweg hin. Er umfasst eine für uruguayische Verhältnisse winzige Fläche von fünf Hektar. Angebaut werden hauptsächlich Tomaten, Salat, verschiedene Kohlarten und Basilikum. An Tieren gibt es auf dem Hof neben den beiden Pferden Bianca und Arthur noch die Hündin Lola (sieht aus wie Idefix), einen Kater, drei Enten, sehr viele andere Vögel, große Spinnen, ein paar Skorpione und nachts kreuzt immer mal wieder ein Gürteltier den Hof. In zwei kleinen, sehr hübschen Lehmjurten leben Libre (29), die Argentinierin Juli (32) und deren Kinder Indiana (3) und Amidá (<1). Wir wohnten ca. 50 Meter weiter in einer „magischen Hütte“ im Gebüsch, umgeben von vielen kleinen, allerdings schon über 100 Jahre alten Bäumen, die uns glücklicherweise ein schattiges Plätzchen verschafften. Unsere Dusche ist ein Schlauch, der, wenn die Sonne scheint, warmes Wasser aus irgendeinem Bach ans Tageslicht fördert. Das Klo ist eine Trockentoilette, d.h. man macht auf einer Klobrille sitzend sein Geschäft in ein riesiges Loch im Boden und wirft anstatt zu spülen eine Ladung Blätter hinterher. Tagsüber besuchte uns dort immer mal wieder ein Kolibri und eines Nachts haben uns Mäuse besucht (eine ist von oben direkt auf meine Brust gefallen und bei nächtlichen Einfangversuchen dann auf Rebeccas Arm gesprungen, ehe sie sich dann in einem Stapel Decken verkrochen hat).

Es lief alles sehr entspannt ab und wir arbeiteten an fünf bis sechs Tagen die Woche jeweils knappe fünf Stunden. Dafür konnten wir in der bereits erwähnten Hütte schlafen und bekamen Essen, welches wir uns abends selbst an unserer kleinen Outdoorküche an der Hütte über dem Feuer kochten. Das Mittagessen war so lange vegetarisch, bis Julis Eltern aus Argentinien zu Besuch kamen, denn ab diesem Zeitpunkt gab es dann Fleisch in rauhen Mengen mit ein bisschen Salat als Beilage: Chorizo (Paprikawurst), Asado (gegrillte Rinderrippchen), normales Rindfeisch sowie Hühnchen…das Komische an der ganzen Sache war, dass Julis Eltern so gut wie kein Fleisch gegessen haben.

Unsere Arbeiten reichten von Plastiktüten mit Erde befüllen über Felder umgraben bishin zu Setzlinge stecken und Mikroorganismen für’s Feld zu sammeln und zu züchten. Außerdem haben wir begonnen einen Wassertank zu bauen.

Zu Libre: Er hat nach der Schule nicht gewusst, was er beruflich machen soll und ist dann zunächst nach Kanada gegangen, wo er auf verschiedenen Höfen geholfen hat, was er dann später in Südamerika fortsetzte. Danach war ihm klar, dass er Landwirt werden möchte und fing an der Uni in Montevideo an, Agrarwissenschaften zu studieren, wobei er schnell merkte, dass dies mit der wirklichen Landwirtschaft doch nur entfernt etwas zu tun hat. Daraufhin brach er das Studium ab und machte sein eigenes Ding. Fragt man ihn, dann sagt er, dass er auf seiner Reise seine Ausbildung gemacht hat, wobei er die für ihn richtig erscheinenden Techniken übernommen hat. Er folgt dem Prinzip, dass alles was wächst auch wachsen darf, da es im Feld/Garten seinen Zweck erfüllt. Sprich: Nix mit „Unkraut“ jäten. Er lässt zwischen den „Nutzpflanzen“ auch das „Unkraut“ sprießen, da er sagt, dass sich die Pflanzen gegenseitig bedingen und er über so viele verschiedene Pflanzen im Feld froh ist, da die Diversität oberhalb der Erde den Reichtum des Bodens widerspiegelt. Pflanzenteile, die für den Menschen nicht verwertbar sind, wirft er auf das Feld, um dem Boden Nährstoffe zurückzugeben. Sind alle Nutzpflanzen geerntet, wird alles umgegraben und selbst gezüchtete Mikroorganismen auf die Erde gestreut, um den Boden anzuregen.

Während der Zeit auf dem Hof lernten wir neben der Sprache (es wird langsam besser, auch wenn es noch oft hakt) und neuen landwirtschaftlichen Techniken auch jede Menge über das Land selbst: In Uruguay ist 90% der Landwirtschaft ökologisch und wenn man sich überlegt, dass es hier Höfe gibt, die 200 Rinder auf 2000 Hektar Land halten, dann leuchtet einem auch ein, dass die Tiere hier verhältnismäßig gigantisch viel Platz haben. Des Weiteren ist Uruguay in Sachen Energie eines der fortschrittlichsten Länder der Welt. Es gehört zu den Ländern, die prozentual am meisten Windenergie nutzen. An anderen Stellen, wie z.B. der Abfallverwertung hakt es jedoch gewaltig, denn in Uruguay wird nicht recycelt. Es gibt riesige Müllhalden, auf die jeder seinen Abfall kippt und die dann entweder irgendwann plattgefahren oder angezündet werden.

So kann man sagen, dass wir in den letzten zwei Wochen sehr viel neues und spannendes über die Landwirtschaft und das Land gelernt haben, auch wenn wir mit der Arbeitsweise nicht immer zu hundert Prozent klarkamen (durch präzisere Planung und deutlicheres Erklären hätte man sich Arbeit sparen können) und wir auf persönlicher Ebene nicht immer wussten, woran wir waren. Dennoch hatten wir eine sehr schöne und bereichernde Zeit auf dem Hof!

Wir schauen weiterhin freudig und wissbegierig in die Zukunft, auch wenn wir bis auf weiteres auf unseren Kocher, der uns kaputtgegangen ist, verzichten müssen, bis wir Ersatz bekommen. An dieser Stelle möchten wir die Bergfreunde, bei denen wir den Kocher bestellt haben, auf keinen Fall unerwähnt lassen und gleichzeitig unbedingt weiterempfehlen, denn sie waren nicht nur extrem schnell was das Antworten auf unser Anliegen betraf, sondern schickten uns sogar im Handumdrehen einen nagelneuen Kocher zu! Welch Sucherei und Rumärgern und das erspart hat, kann wahrscheinlich jeder nachvollziehen… Wir möchten uns auch hier nochmal ganz herzlich für die riesige Kulanz bei den Bergfreunden, die ihrem Namen als Freunde wirklich alle Ehre machen, bedanken!

Liebe Grüße, Rebecca und Johann 🙂

(Johann)

Im Hinterland

Nun waren wir einige Tage im Landesinneren Uruguays unterwegs und wollen kurz berichten, wie es so war und vor allem, mit welchen Menschen wir Bekanntschaft machen durften:

Nachdem wir eine Nacht in der Nähe von Aiguà auf einer Weide mit Bach übernachtet haben (wir konnten endlich mal uns und unsere schmutzigen Sachen waschen ;)), ging es weiter über zum größten Teil staubige Pisten mit ordentlichen Schlaglöchern. Bis dahin haben wir schon Bekanntschaft mit sehr lieben Menschen gemacht: Da wäre einmal der Mann, der uns in Aiguà quasi gezwungen hat, auf der Weide seines Vaters zu campen, der Mann, der uns in seine alte rostige Karre packte, obwohl wir gar nicht den Daumen ausgestreckt hatten oder der junger Bauarbeiter, der 15 Minuten nachdem er uns abgesetzt hatte nochmal mit dem Moped vorbeikam, um uns eine Flasche kalte Cola zu schenken. Außerdem haben wir jetzt schon eine ansehnliche Sammlung von E-Mail-Adressen und Telefonnummern, die uns gegeben wurden, falls wir irgendetwas brauchen.

Am nächsten Tag ging es gerade so besonders weiter. Wir hatten am Straßenrand einer Art „Autobahn“ (vergleichbar mit einer wenig befahrenen Landstraße in Deutschland) unser Zelt aufgeschlagen und mussten am Morgen feststellen, dass auf dieser Straße tote Hose herrschte. Wir stellten uns auf eine lange Wartezeit ein, doch kurze Zeit später hielt ein Reisebus und nahm uns 10 km mit – ohne etwas dafür zu verlangen! Die Weiterfahrt gestaltete sich dann aber als etwas schwieriger. Wir warteten ungefähr 3 Stunden, bis uns ein sehr freundlicher LKW-Fahrer weiter mitnahm und zwischendurch ein bisschen Sightseeing machte, indem er für uns anhielt, wenn Nandus in der Nähe waren.

Inzwischen haben wir uns angewöhnt, immer zu fragen ob wir auf Wiesen übernachten dürfen. An diesem Abend wurde uns ein Platz auf der Wiese in dem Ort Blanquillo zugesagt, eine Art Park in dem sich gegen Abend immer mehr Kinder und Jugendliche trafen, um zu reden, Mate zu trinken und vor allem: Fußball zu spielen. Fußball ist hier nämlich eine Sportart, die sich großer Beliebtheit erfreut (wir werden, wie auch schon in Brasilien, oft auf dieses Thema angesprochen und manche Autos sind für die kommende WM schon mit Fahnen ausgestattet). Wir waren uns etwas unsicher, ob wir das Zelt wirklich unter so vielen Menschen aufstellen sollen, haben es dann aber getan und konnten so mal ein bisschen was vom abendlichen Alltag der uruguayischen Jugend mitbekommen.

Unser nächstes Ziel war der zu einem See aufgestaute Rio Negro, der eine natürliche Grenze zwischen dem Norden und dem Süden Uruguays bildet.

Tags darauf hatten wir wieder eine Wartezeit von vielleicht 2,5 Stunden, bis uns ein junger Mann in seinem neuen Pickup mit Cross-Motorrad hinten drauf mitnahm, der uns während der Fahrt deutlich machte, dass er, obwohl er verhältnismäßig viel verdient, nicht das Geld hat, reisen zu gehen. Ganz im Gegensatz zu seiner Reaktion stand die des Mannes, den wir danach trafen, während wir mal wieder einige Zeit warteten. Dazu müssen wir gestehen, dass wir ihn beide vollkommen falsch eingeschätzt haben, als er so in einem alten Fußballshirt, Flip-Flops und einer vielgetragenen kurzen Hose auf uns zukam. Wie jemanden eben, bei dem man ein bisschen vorsichtig sein muss. Doch stattdessen war er freudig und sehr interessiert, versuchte, uns eine Mitfahrgelegenheit zu besorgen und zeigte uns dann sehr schöne weiße und lilafarbene Kristalle, die er ein Stück weiter weg sammelt, um sie dann zu verkaufen. Davon ernährt er seine Frau und seine dreijährige Tochter. Uns schenkt Alvárez einfach zwei kleine Steine – was für ein Mensch! Er war keineswegs neidisch auf das was wir tun, sondern freute sich für uns und schenkte und etwas, das für ihn eigentlich lebenswichtig ist. Und wir haben neben dieser Sache noch etwas sehr wichtiges gelernt: sich nicht von der äußeren Erscheinung täuschen zu lassen, sondern den Menschen offen gegenüberzutreten. Nun, das ist ja auch ein Grund, weshalb wir diese Reise machen: um zuerst einmal bei uns selbst mit Vorurteilen aufzuräumen und uns für Menschen mehr zu öffnen.

Noch am gleichen Abend campten wir vor dem Haus einer eher einfachen Familie, die uns unser Wasser auffüllten und zusätzlich noch gefrorenes Wasser in Flaschen gaben. Ein großes Geschenk!

Dass es doch immer ähnliche Menschen sind, die uns weiterhelfen, nämlich die, die nicht die dicksten Autos fahren und die größten Häuser haben, sollte sich am nächsten Tag nur noch einmal bestätigen. Dieser begann sehr durchwachsen. Am frühen Nachmittag schafften wir es dann endlich 130 km weiter (übrigens war es das erste mal, dass wir von einer Frau mitgenommen wurden) und dann wurde es erst richtig gut: nach 5 Minuten nahm uns ein Reisbauer mit, der, mehr hobbymäßig, auch Kartoffeln, Kürbisse, Gurken und Melonen anbaut und uns kurzerhand seinen Hof zeigte. Von ihm bekamen wir eine Tüte Kartoffeln, einige Gurken (von denen wir gleich mal drei verdrückt haben) und eine Melone mit auf den Weg. Es war schon relativ spät, als wir den Ortsausgang von Treinta y Tres erreichten – die Leute, die wir unterwegs gefragt hatten, wollten uns nicht auf ihren Wiesen zelten lassen – und auch dort hatten wir bei einem Haus mit großem Garten erstmal kein Glück. Doch auf der anderen Seite, bei einem kleinen Haus, das eher den Eindruck eines alten Schuppens machte, durften wir dann das Zelt aufstellen. Endlich!

Am folgenden Tag hatten wir das Ziel, den Hof, den wir über Workaway ausfindig gemacht haben, zu erreichen. Und ganz schnell waren wir wieder in Aiguá, weil uns ein freundlicher Soldat und Ironman-Triathlet (vielleicht Uruguays bester? ;)) bis dorthin fuhr und uns dann auch noch das kalte Wasser und das kalte Bier, das er noch bei sich hatte, schenkte. An der Piste Richtung Rocha war wieder langes Warten angesagt, doch dann folgte eine ziemlich coole Fahrt auf der Ladefläche eines Kleinlasters mit Kran…

Wir haben in dieser kurzen Zeit doch sehr sehr viel erlebt und sind uns sicher, dass sich die kurze Reise ins zum größten Teil flache und eher trockene und karge Landesinnere Uruguays auf jeden Fall gelohnt hat!

Viele liebe Grüße,

Johann und Rebecca

(Rebecca)