Paraguay

Wer kennt Paraguay? Wer weiß etwas über dieses Land, das etwas größer als Deutschland ist und mitten in Südamerika liegt? Kaum jemand. Auch wir wussten über dieses Land vor unserem Besuch fast nichts. In Chile warnte man uns davor, dass wir besser nicht nach Paraguay sollten, es sei sehr gefährlich in diesem Land. Selbst kannten sie Paraguay jedoch nicht. Auch in Argentinien, in der Nähe der Grenze wird uns immer wieder gesagt, wir sollen aufpassen. Das Auswärtige Amt scheint das Ganze durch Reisewarnungen für bestimmte Gebiete aufgrund von Guerillagruppen zu bestätigen. Ein paar Monate vorher erzählte uns jedoch ein Pärchen aus Kolumbien und ein Niederländer, die zeitweise zusammen unterwegs waren, sehr Positives aus Paraguay. Egal, wir wollen uns selbst ein Bild von Paraguay machen, zudem sind wir bereits auf dem Weg durch Argentinien nach Asunción (Mariä Himmelfahrt), der Hauptstadt. So schlimm kann es schon nicht werden…

Wir fahren bei zwei Argentiniern mit, die für ihr Geschäft günstig in Asunción einkaufen gehen. Mit der Fähre fahren wir über den Grenzfluss „Rio Paraguay“. Danach lesen wir in unserem Reiseführer: „Die Fähre ist für Touristen nicht zu empfehlen.“ Wieso wissen wir nicht. Asunción erscheint uns zunächst einmal sehr grün. Überall wachsen Palmen, Orangenbäume mit reifen Orangen, Mandarinenbäume, Mangobäume… Abends gehen wir noch ein bisschen durch die Stadt. Auch wenn der Verkehr nicht chaotisch ist, muss man ziemlich aufpassen, wenn man die Straßen überquert, denn Fußgängerampeln sucht man vergeblich und das wohl einzige Land in dem Autos an Zebrastreifen halten, ist Deutschland. Asunción ist sehr entspannt und dafür, dass es auf dem Papier nach Bolivien das zweitärmste Land Südamerikas ist, fahren hier viele schicke Autos und auch die Häuser und Menschen sehen gar nicht so aus, als würde es hier große Armut geben. Später erfahren wir, dass die Slums von Asunción am Fluss liegen und es so gut wie keinen Austausch zwischen den Gesellschaftsschichten gibt. Nur wenn man Sonntags durch die fast ausgestorbenen Straßen von Asunción läuft, begegnet man barfüßigen Kindern und Jugendlichen mit zerfressenen Klamotten, die sich etwas Geld erbetteln oder während der Rotphase für Autofahrer mit Orangen jonglieren. Sonst scheinen sich diese Menschen kaum aus ihrem Viertel herauszutrauen.

Seit 2017 ist jedoch etwas anders in Asunción: Vor dem Parlamentsgebäude befinden sich mehrere kleine Parks, die vollkommen von einfachen Holzhütten und Plastikplanen, die als Zelte dienen, mit Feuerstelle davor, bebaut wurden. Die meisten Bewohner dieser „Siedlung“ sind Indigene oder deren Nachfahren, die dort seit ungefähr einem Jahr wohnen, um der Regierung den Zustand, in dem sie leben, vor Augen zu führen. Erst wenn ihre Fragen zu Bildung, Nahrungsmitteln und Gesundheit von der Regierung beantwortet wurden und sie die Möglichkeit auf Besserung sehen, werden sie die Parks räumen…

In den Supermärkten Paraguays gibt es zunächst einmal eine riesige Palette an tiefgefrorenem, eingeschweißten und frischem Fleisch von der Theke. Vor allem Rind, so wie überall in Südamerika. In Paraguay zu noch skandalöseren Preisen als in Argentinien oder Chile. Das Kilo Rindfleisch bekommt man je nach Teil ab 1,50 € bis 7 € pro Kilo. In der Früchteabteilung sieht es anders aus als bei uns: Es gibt zwar die üblichen Gemüsesorten wie Gurken, Paprika, Tomaten und verschiedene Kohlsorten. Anstatt Kartoffeln liegt Maniok in riesigen Kisten in der Abteilung. Maniok ist ein sädamerikanisches Wolfsmilchgewächs, dessen Knolle man essen kann und heute in fast allen tropischen Gebieten der Welt angebaut wird. Das Obstangebot ist jedoch ganz anders. Äpfel gibt es wenn dann nur im Doppelpack, eingeschweißt im Kühlschrank liegend ab 3 € das Kilo. Dagegen liegen Orangen, Mandarinen, Mangos, Papayas, Melonen, Kokosnüsse und vor allem Bananen in großen Mengen in den Kisten. Bananen bekommt man in Paraguay ab 20 ct. pro Kilo und auch die ganzen anderen, für uns exotischen Früchte kosten nur ein Bruchteil von dem was sie bei uns kosten.

In Asunción kommen wir über Couchsurfing bei Alvaro unter, der zwar gerade in den Prüfungen seines Architekturstudiums steckt und kurz vor seiner Europareise steht, uns dennoch einiges erzählen kann. Am ersten Abend fährt er mit uns zu einem sogenannten „San Juan“, einem Johannifest, dass es zu dieser Zeit überall in der Stadt gibt und wo man typisch paraguayisches Essen probieren kann. Uns wird erzählt, dass für dieses Fest an diesem Abend sogar verschiedene Straßen gesperrt wurden. Als wir mit ein paar Freunden von Alvaro ankommen ist davon jedoch keine Spur. Stattdessen stehen wir vor einem Hauseingang mit ein paar Männern davor, die Händchen halten, ein paar Frauen mit wilden Frisuren und Haarfarben und einem scheinbar jungen Mann, der Stöckelschuhe, eine Frauenjeans und ein Barcelona-Trikot trägt und wenig später, nach einem kurzen Verschwinden, in Minirock und Perücke wiederkommt. Innen wird Karaoke gesungen und draußen das typische Essen vorbereitet. Viel los ist jedoch nicht, die Stimmung aber gut und auf unsere Frage weshalb wir hier sind, antwortet Alvaro, dass es eine der wenigen San Juans ist, die keinen Eintritt kosten…:) Wir probieren alle drei Köstlichkeiten, die Zubereitet werden und die alle Namen auf Guaraní (neben Spanisch die zweite Amtssprache Paraguays) haben: Mbeju (ein Fladen aus Maniok, unser Favorit), Pastel Mandio (eine Empanada (Teigtasche) aus Maniokmehl), Pajagua (ein würzig schmeckendes, etwas schleimiges frittiertes Gebäck) und Chipa (ein rundes oder sichelförmiges Gebäckstück, das nach Käse und Anis schmeckt). Die Familie von Alvaro hat es auch verdient, erwähnt zu werden, denn sie war unglaublich und hätte direkt aus dem Drehbuch einer Komödie entstammen können. Das Haus steht in einem guten Viertel von Asunción und es lässt sich sehr einfach beschreiben, denn viel gibt es nicht. Es gibt kaum Einrichtung in dem Haus und es scheint sich auch kaum einer um Wärme im Haus zu bemühen. Die Küche steht bis oben hin voll mit benutztem Geschirr und im Ofen versuchen Spinnen Fliegen zu fangen (ob es jemals funktioniert hat, weiß keiner). Mitten im Garten hinter dem Haus steht eine Waschmaschine und überall darum Wäsche verteilt. Der Vater der Familie mit insgesamt vier Kindern, ist ein sehr interessanter Mann. Er lebte als Journalist in Buenos Aires und musste während der Diktatur ins Exil nach Chile und dann nach Deutschland gehen. Deswegen spricht er etwas Deutsch. Er hat lange graue Haare und einen Blick, dem man sonst nur einem Goethe oder einem wahnsinnigen Maler zugetraut hätte. Sein Blick lässt jedoch erahnen, wie viel er in seinem Leben bereits erlebt und durchgemacht hat. Wenn man mit ihm redet schaut er einen tief an und hört aufmerksam zu. Heute bekommt er eine ganz kleine Rente, von der er kaum leben kann. Er ist so gutmütig. Wir mögen ihn, auch wenn es manchmal sehr anstrengend ist, seine ständigen Einladungen nach einem Schluck Schnaps, einem Glas Wein oder einer Flasche Bier zu verneinen. In der Wärme des Alkohols, der nie weit von ihm entfernt steht, scheint er die Kälte seiner Frau und die des Hauses wettzumachen und im Rauch seiner Zigaretten versucht er sich zu verstecken. Während er sehr ruhig und bedacht redet, scheint seine Frau das genaue Gegenteil zu sein. Wir wurden von Alvaro ja auch bereits im Vorfeld vor seiner Mutter gewarnt. Sie sei diejenige im Haus, die den Ton angibt und sei sehr speziell. Sie sieht einen und fragt sofort wie es einem geht. Zwanzig Sekunden später fragt sie das gleiche nocheinmal und es kann passieren, dass sie einen zum dritten Mal fragt. Dazwischen irgendwelche flüchtigen Erzählungen, wie ihr Tag war und welche Schmerzen und Wehwehchen sie wo hat, wobei Alvaro dabei immer lacht und uns erzählt, dass sie eigentlich gar nichts hat. Dass sie so speziell ist, konnten wir nicht wirklich erahnen. Nach vier Tagen verlassen wir unsere Gastgeber, nicht ohne dem Vater von Alvaro einen Zettel zu hinterlassen, auf dem steht, dass er, wenn er mal nach Deutschland kommen sollte, gerne bei uns unterkommen kann.

Da wir niemanden über Couchsurfing in der Nähe der Iguazú-Wasserfälle finden, entscheiden wir uns gegen einen Abstecher dorthin und machen uns auf in den sogenannten Chaco und somit auf den Weg zurück nach Bolivien. Unser erstes und zunächst einziges Ziel ist Filadelfia, eine deutsche Mennonitenkolonie, wo wir ein paar Tage später jemanden über Couchsurfing finden. Doch wir kommen schneller als erwartet weiter und so fahren wir mit Christian zunächst in die Nachbarkolonie Neuland. Während der Fahrt mit Christian, der mit seiner fast weißen Haut, seinen dunkelblonden Haaren und einer Größe von über 1,90 Meter nur schwerlich mit einem Indigenen zu verwechseln ist, erfahren wir einiges über die Kultur der Mennoniten. Unterhalten können wir uns dabei ganz entspannt auf Hochdeutsch, das er mit einem osteuropäischen Akzent spricht. Weniger entspannt wird es dann, als er einen Anruf empfängt und auf einmal anfängt eine Sprache zu sprechen, die wie eine Mischung aus Deutsch und Niederländisch klingt – Plattdeutsch. Wir erfahren, dass viele Mennoniten vor allem im 18. Jhd. aus Mitteleuropa nach Osteuropa (v.a. Russland) gingen. Dort lebten sie als Großgrundbesitzer und stellten einen wohlhabenden Teil der Bevölkerung dar. Als 1874 die Wehrpflicht in Russland eingeführt wurde, verließen wiederum einige Mennoniten Russland in Richtung Nordamerika, wo sie vor allem in Kanada und den USA weitere Kolonien gründeten. Unter der Herrschaft Stalins verließen in den 1920ern weitere Gruppen Russland. Viele von ihnen schafften die Flucht jedoch nicht und wurden misshandelt, gefoltert und in Arbeitslager gesteckt. In den 20ern wurde bereits von kanadischer Seite aus ein neues Siedlungsgebiet in Südamerika gesucht. Der paraguayische Chaco bot sich an, da in diesem Gebiet, abgesehen von Indigenen, es bisher noch keiner wirklich geschafft hat, sich anzusiedeln. So verkauften die Paraguayer eine Fläche von 7500 Quadratkilometern. Die Mennoniten hatten nun einen Platz, wo sie sich ansiedeln durften, ohne Wehrdienst leisten zu müssen (gegen den die sich stets gewehrt hatten), wo sie eigene deutsche Schulen führen dürfen, eine eigene Verwaltung haben können, absolute Religionsfreiheit gewährt wird und eine unbegrenzte Zuwanderung weiterer Mennoniten gegeben ist. Bis 1947 kamen in drei Wellen kanadische und russlanddeutsche Mennoniten, welche die drei Ortschaften Loma Plata, Filadelfia und Neu-Halbstadt gründeten in den Chaco. Vor allem die Anfangsjahre waren hart, denn im Sommer erreichen die Temperaturen die 50-Grad-Marke und im Winter gibt es so gut wie keinen Niederschlag. Heute sind die Mennonitensiedlungen ein wirtschaftlich wichtiges Gebiet für Paraguay und sie ziehen sowohl Paraguayer als auch Indigene an, denn es gibt viel und auch meistens gut bezahlte Arbeit. Wir fragen uns, was die Mennoniten denn von anderen christlichen Gruppen unterscheidet: Die Mennoniten sind im Prinzip protestantische Christen und mit den Amischen verwandt. Den Mennoniten ist es wichtig, dass die Menschen sich bewusst zur Religion bekennen und nicht im Säuglingsalter getauft werden, wo sie sich nicht selbst zum Christentum bekennen können. Kindertaufen werden also nicht praktiziert. Zudem wird das Schwören von Eiden abgelehnt und der Frieden spielt eine große Rolle, auch wenn der größte Teil der Mennoniten während des Nationalsozialismus passiv blieb. 1995 wurde ein Schuldbekenntnis gegenüber den Juden und Kriegsopfern veröffentlicht.

Wir dürfen auf Christians Grundstück zelten und schauen uns etwas den kleinen Ort an, der jedoch nicht viel zu bieten hat. Die Menschen leben auf riesigen Grundstücken in villenartigen Häusern. Zwei Tage später kommen wir nach Filadelfia. Filadelfia ist größer und lebendiger. Zunächst einmal fällt uns auf, dass die Hauptstraße „Hindenburgstraße“ heißt. Wir sprechen David, unseren Gastgeber, darauf an, der jedoch nichts darüber weiß. Nachdem wir ihm erzählen, dass Hindenburg Reichspräsident und der Oberbefehlshaber des Heeres war und Hitler zum Reichskanzler ernannte, ist seine Erstaunung groß. Warum Hindenburg als höchster Führer des Militärs von einer pazifistisch ausgelegten Gruppierung verehrt wird, finden wir im Museum heraus: als einige der Mennoniten aus Russland nach Deutschland flohen, wurden sie von Hindenburg aufgenommen, der aus seiner Privatkasse eine große Spende an die Neuankömmlinge verrichtete.

Von David, der leidenschaftlicher Jäger ist, erfahren wir auch noch einiges über die Tierwelt im paraguayischen Chaco. Es gibt Pumas, Jaguare, Kaimane, verschiedene Vogel- und Schlangenarten, Tapire, Stinktiere, Gürteltiere, Ameisenbären und viele mehr! Wir sitzen abends im T-Shirt und kurzen Hosen im Dunkeln, über uns die Sterne und unterhalten uns über Gott und die Welt. David erzählt uns von den Indianersiedlungen in und um Filadelfia. Die Menschen leben in slumähnlichen Vierteln und arbeiten für die Mennoniten, wenn sie Arbeit brauchen. Erst wenn das Geld aus ist, arbeiten sie wieder. Jedes Indianerviertel ist von einem anderen Stamm, da sie sich untereinander nicht verstehen. Eine Parallelgesellschaft in einer Parallelgesellschaft. Wir kommen nämlich mit der Zeit immer mehr auf den Gedanken, dass diese Mennonitensiedlungen Parallelgesellschaften der extremsten Form darstellen. Mit ihrer eigenen Verwaltung, ihrer eigenen Sprache, einem eigenen Schulsystem, eigenen Versicherungen, fast alle haben deutsche Pässe ohne jemals in Deutschland gewesen zu sein. Was fehlt noch? Ich weiß es nicht. Aber was soll man nun davon halten? Ist das Wort „Parallelgesellschaft“ nicht von vornherein negativ besetzt? Warum akzeptieren die Paraguayer diese Parallelgesellschaft? Weil sie wirtschaftlich extrem potent ist? Sind diese Städte Positivbeispiele von Parallelgesellschaften? Würde man so etwas in Deutschland hinnehmen? Würden die Menschen in Deutschland so von einer solchen Parallelgesellschaft schwärmen, wie die Paraguayer es tun? Keine Ahnung. Dazu kommt noch, dass die Mennoniten nicht einfach nur kamen und ihre Siedlungen gebaut haben, sondern aggressiv missionierten und das heute auch noch mit Begeisterung tun. Halt mal. Ist das nicht genau das, wovor einige Deutsche bei uns zuhause Angst haben? Hört man da nicht immer wieder Sätze wie „Deutschland wird in wenigen Jahren ein muslimischer Staat sein!“? Aber das ist doch genau das, was die Mennoniten mit den Indigenen noch heute in ihren Einflussgebieten tun! Ist das in Ordnung? David sieht das sehr kritisch. Er sieht generell alles sehr kritisch. Den Reichtum der Mennoniten und das Nichtteilen des Wohlstandes. Sehr interessant jedenfalls…

Wir verlassen Mennonitenkolonien nach einer spannenden knappen Woche mit vielen neuen Eindrücken, allerdings auch mit vielen noch offenen Fragen und kritischen Betrachtungen. Es geht nun in den hohen Norden Paraguays zurück nach Bolivien. Wir gehen Bolivien mit gemischten Gefühlen entgegen, weil wir nicht wissen wie wir vorankommen werden und ob das Trampen so wie wir uns es vorstellen klappt.

Wir stellen unser Zelt, nachdem wir aus einem Örtchen etwa 3 Kilometer rausgelaufen sind, ungefähr 50 Meter von der Straße im Gebüsch auf. Ein paar Meter neben unserem Zelt befindet sich ein wie ein Tafelberg aussehender Haufen Erde, der eine geschätzte Fläche von 8 Quadratmetern hat. Darauf, beziehungsweise darin, befinden sich mehrere armdicke Löcher. Darum ein paar unscheinbare Wildwechselwege. Wir stellen unser Zelt auf, ist ja nichts weiter dabei. Wir legen uns in die Kabine und spielen noch ein bisschen, da wir noch keinen großen Hunger haben. Als sich dann das Hungergefühl langsam breit macht und Rebecca aus dem Zelt schaut, erblickt sie im Schein ihrer Taschenlampe zunächst eine neugierige Wildkatze (nein, kein Jaguar), die wohl kurz darauf schnellstens Reißaus genommen haben muss, denn Rebecca redet nun mit ganz aufgeregter und lauter Stimme zu mir und flucht wie ich sie nur selten hab fluchen hören! Zurecht. Als ich gerade meine Stirnlampe wegen der Katze gefunden habe und einen Blick aus der Kabine ins Vorzelt werfe, fange ich erst an zu lachen und dann stimme ich in Rebeccas bereits verebbendes Fluchen ein. Der Grund: Wir haben unser Vorzelt direkt auf einen dieser Wildwechsel gebaut, der gerade von jenem Wild benutzt wird. Das Wild heißt Ameise und der etwa 50 Zentimeter breite Weg wird von abertausenden Ameisen benutzt. So viele wie eben in dem riesigen Bau leben. Ameisen in einer Größe, wie es noch keiner von uns gesehen hat. Zwar nicht so groß wie die Löcher auf ihrem Bau, aber manche Exemplare haben 1,5 Zentimeter Länge und ein dazu passendes Werkzeug am Kopf. Die ersten beginnen bereits innen am Zelt hochzukrabbeln und andere bahnen sich ihren Weg in die Kabine. Wir schließen die Kabine, schlüpfen in die Schuhe und stellen uns zur Lageberatung vor das Zelt. Ich bin zunächst dafür an Ort und Stelle zu bleiben, Rebecca zum Glück nicht. Erste Ameisen krabbeln auch an uns hoch, jetzt gibt es erste Tote. Irgendwo hört der Pazifismus nun wirklich auf! Was fällt den Ameisen auch ein, auf einen hochzuklettern und einen mit seinen Monsterzangen zu beißen!? Na gut, wir haben unser Zelt ja auch einfach an einer dämlichen Stelle aufgebaut. Wir beschließen das Zelt zunächst fünf Meter weiter aufzubauen, doch es sind überall Ameisen. Ich leuchte mit meiner Stirnlampe aus der Entfernung auf den Haufen, der sich inzwischen schwarz gefärbt hat und lebt. Es strömen invasionsähnlich die Ameisen aus den gigantischen Löchern nach draußen. Sie verteilen sich nun überall. Wir nehmen vollkommen reißaus und laufen rund 200 Meter weg, wo wir Ruhe vor den Sechsbeinern haben. Zum Glück begegnen wir auf unserem abendlichen Umzug keinem Jaguar oder Puma. Der Hunger ist uns vergangen und wir essen jeder eine Orange bevor wir schlafen gehen. Da das Wetter umgeschlagen hat und es kühl und nieselig geworden ist, haben die Ameisen wahrscheinlich Schutz gesucht und nun, wo es etwas aufgeklart ist, das Arbeiten begonnen.

Auf dem weiteren Weg in Richtung Grenze werden wir bei kühlem Nieselwetter von einem Tierarzt mitgenommen, der uns fragt, ob wir die Farm sehen möchten, auf der er arbeitet. Wir bejahen sofort und da fahren wir auch schon durch die Pforte. Wir erfahren, dass auf der Farm 250 Menschen arbeiten, 70 000 Rinder leben und das Gelände eine Fläche von 80 000 Hektar hat. Gigantisch. Unsere Münder stehen noch offen, als wir auch schon zwischen Unmengen an hauptsächlich weißen Rindern vorbeifahren, die gerade gemästet werden. Das Fleisch wird ausschließlich in die EU exportiert. Einfach unglaublich!

Wir kommen abends an der Grenze an, da uns das Militär verweigert, ein paar Kilometer vor der Grenze auf schönem Untergrund zu zelten. An der Grenze fragen wir, wo wir unser Zelt aufstellen können und bekommen zwei, wenn auch schon sehr alte und durchgelegene Matratzen angeboten. Später kommt noch eine junge Ungarin an, mit der wir uns noch lange unterhalten und das Eck im Zollgebäude teilen.Während man bei uns über das Abweisen von Flüchtlingen an der Grenze spricht und sie am besten gar nicht erst ins Land lassen möchte, werden einem hier an der Grenze Matratzen und morgens Kaffee und Brot angeboten. Auch wenn man das nicht ganz vergleichen kann, wollen wir dieses Erlebnis doch teilen und so manche Politiker könnten sich daran ein Beispiel nehmen.

Wir verlassen nun ein Land, über das kaum jemand etwas weiß, ein Land, das von vielen total falsch eingeschätzt wird und zu unrecht als gefährlich abgestempelt wird. Ein Land, in dem man gut und günstig vorankommt und das durch seine riesigen Flächen flacher Buschlandschaft und Feuchtgebiete besticht. Im Sommer wäre es uns sicher zu heiß, um hier unterwegs zu sein, denn im Winter ist es uns an manchen Tagen auch zu heiß, auch wenn wir gerade in Pullover und Regenjacke gehüllt im kühlen Sprühregen sitzen. Paraguay war eine sehr schöne Erfahrung und wir sind froh, dieses Land kennengelernt zu haben und nun zu wissen, wie es wirklichin Paraguay zugeht.

Liebe Grüße aus Bolivien,

Rebecca und Johann

(Johann)