Wir überqueren die Grenze und befinden uns in einer anderen Welt. In heruntergekommenen Blechhütten wird Essen verkauft, auf der Straße wird man von gefühlt jedem Zweiten aufgefordert, sein Geld in die Landeswährung, Córdoba, zu wechseln. Nachdem der erste Mann uns einen eher miesen Kurs angeboten hat, wechseln wir bei einer Frau, die zudem seriöser aussieht (auch wenn das wahrscheinlich nicht der Fall ist). Die Ausreise aus Costa Rica war nicht billig (8 US$), die Einreise nach Nicaragua ist noch teurer. 12 US$ pro Person für die Touristenkarte, die nur ein Stückchen Papier ist, plus 1 US$ irgendeine andere Gebühr. Na gut, da kommen wir leider nicht drumherum. Ohne lange Wartezeiten haben wir schließlich den Stempel im Pass und befinden uns in Nicaragua.
Da wir noch heute im etwa 130 Km. entfernten Granada, DER Touristenstadt in Nicaragua, ankommen wollen, nehmen wir nach etwa einer Stunde nicht erfolgreichen Trampens ein Taxi 50 Km. weiter. Der Fahrer hat uns überzeugt, dass es schwierig sei hier zu trampen und dass es sowieso von hier keine Direktbusse nach Granada gäbe. Im Prinzip trampen wir bei ihm für Geld mit. Er nimmt den gleichen Betrag wie der Bus verlangen würde. Also steigen wir ein und tatsächlich wird es mehr eine Autostopp- als eine Taxifahrt. Er erzählt uns von Nicaragua und was wir hier so machen können. Die Fahrt geht entlang des Lago de Nicaragua, der etwa 16 Mal größer als der Bodensee ist. Wir fahren an kleinen Bananen-, Papaya- und Zuckerrohrplantagen vorbei und überqueren Flüsse. Alles ist grün, leider aber zum Teil auch sehr vermüllt. Plötzlich erheben sich zwei Vulkane rechts von uns aus dem See. Sie gehören, bzw. bliden die Isla Ometepe. Besonders der „Volcán Concepción“ ist ein Vulkan wie aus dem Bilderbuch und wir beobachten ihn aus dem Fenster, bis er aus unserem Blickfeld verschwunden ist. 60 Km. weiter steigen wir aus, um in den Bus nach Granada umzusteigen. Eigentlich wollten wir von hier weitertrampen, doch es ist bereits Nachmittag und ab 17:30 Uhr beginnt es zu dämmern. Im Dunkeln wollen wir nicht ankommen und so bezahlen wir für eine Person mehr, aufgrund unseres Gepäcks und steigen ein. Es ist einer der amerikanischen Schulbusse, die auch schon in Costa Rica genutzt wurden. Dieser hier ist allerdings bunt statt gelb. Als der Bus zum Bersten vollgestopft ist (wir kamen früh genug um einen der unglaublich engen Sitzplätze zu ergattern, mit dem Nachteil dass wir inzwischen, dank der Hitze, förmlich am Sitz festkleben) geht es los. Auf der Fahrt beginnt es langsam zu Dämmern. Der Fahrtwind tut gut und es wird eine viel spannendere Fahrt als wir uns erhofft hatten. Um ehrlich zu sein war ich ziemlich sauer, dass wir schon nach einer Stunde des Wartens knapp die Hälfte des Landes mit dem Bus durchqueren. Nur weil wir uns entscheiden mussten zwischen Trampen und wenig Zeit zu haben, sich Städte anzusehen oder nicht zu trampen, dafür aber einen kleinen Teil der Sehenswürdigkeiten mitzubekommen. Wir wollen zu Weihnachten in El Salvador sein, daher das Zeitproblem… Als sich der Bus langsam leert, beugt sich ein älterer Mann über den Gang hinweg zu Johann herüber und fragt ihn, woher wir seien. Mit der Antwort ist er zufrieden. Wir als Europäer seien hier willkommen, die „Gringos“ (US-Amerikaner) werden hier nicht gerne gesehen, fängt er das Gespräch mit uns an. Auch hier hatte die USA und hat noch immer ihren Einfluss und ihre Finger im Spiel.
Der Mann beginnt zu erzählen. Lei raunt er Johann zu: „Jetzt ist es ruhig hier, nicht mehr so gefährlich. Die Menschen sind ruhig und halten sich zurück. Wir leben in Repression.“ Wir waren auf ein ähnliches Szenario vorbereitet. Wahrscheinlich haben die meisten von euch im Frühsommer die Nachrichten aus Nicaragua mitbekommen, als tausende Menschen erst gegen eine Rentenkürzung und schließlich gegen den amtierenden Präsidenten Daniel Ortega und seine Unterstützer demonstrierten. Innerhalb von drei Monaten wurden 250 Zivilisten getötet, man geht allerdings inzwischen von etwa 400 Todesopfern aus, die sogenannten „Verschwundenen“ mit einberechnet. Die „Verschwundenen“ bekommen wir später von einem Mann erzählt, sind Menschen, die von ehemaligen Militärs oder Polizisten in Zivil abgeholt werden. Niemand weiß, wohin sie gebracht werden, nur wenige wurden tot wiedergefunden, mit grausamen Folterspuren. Die Proteste sind angesichts der Gewalt die gegen die Demonstranten angewandt wurde erloschen. Der Wille, sich offen zu wehren scheint für den Moment erstickt. Die Regierung hat ein Gesetz beschlossen, das friedlichen Protest als Terrorismus bestrafen kann. Der Clan um Ortega besitzt weitreichenden Einfluss in Politik, Wirtschaft und Medien. „Die Menschenrechte sind am Boden“, flüstert der Mann. Uns wird klar, wie weitreichend die Menschen hier unterdrückt werden. Mit seiner Meinung muss man vorsichtig sein und sollte sie gegen die Regierung sein, äußert man sie besser gar nicht erst. Die Wahrheit, wie die Menschen leben, trifft uns dann doch unvorbereitet. Wir, die wir frei aufgewachsen sind und gelehrt wurden, Dinge zu hinterfragen und unsere Meinung zu sagen, können uns ein solches Leben, trotz der deutschen Geschichte nicht vorstellen. Mit einem Mal wird uns klar, wie wertvoll es ist, in einem Staat aufwachsen zu können, in dem man äußern kann was man denkt. Und wie wichtig es ist, dass dies jeder überall tun kann. Der Mann ist Anwalt. Wie es sich wohl auf seine Karriere auswirken würde, wenn er sich offen äußern würde? Er könnte alles verlieren. Tatsächlich hätten wir nicht gedacht, dass sich jemand so offen uns gegenüber äußern würde, was die Regierung betrifft, erst recht nicht in einem vollen Bus. Als wir dem Mann erzählen, wie schön wir es hier finden, beginnen seine Augen zu leuchten und begeistert erzählt er uns, was wir hier alles sehen können. Als wir in Granada ankommen ist es bereits dunkel. Der Mann verabschiedet sich von uns, kommt aber nochmal kurz zurück und sagt, wir könnten jetzt noch herumlaufen aber viel später nicht mehr. „Sie werden euch beklauen.“. Ein Mann vor uns dreht sich grinsend zu Johann um und sagt: „Sie werden euch die Schuhe klauen!“ Wir müssen lachen. Nicaragua und seine Bevölkerung begrüßt uns warm und herzlich.
100 Meter weiter nach unten, dann nach links und wir stehen vor einer Unterkunft. Zum Glück. In der kleinen dunklen Gasse mit ein paar dunklen Gestalten war uns dann doch nicht so wohl zumute. Johann geht in die Unterkunft links und ich in die rechts. Und wir kommen beide einigermaßen erstaunt zurück. Beide Besitzer wollen für eine Nacht in einem eigenen Zimmer mit eigenem Bad und Gemeinschaftsküche 5 US$ pro Person. Wir entscheiden uns für das mit Pool. Hier sind die Unterkünfte mit Privatzimmern wieder billiger als Hostels. Und der scheinbar karge Tourismus tut sein Übriges, um die Preise weiter zu drücken. Auf dem Schild vor dem Eingang steht groß, „alle Preise sind verhandelbar“, doch wir geben uns mit dem genannten Preis zufrieden, der sowieso schon fast um die Hälfte geschrumpft ist.
Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg, Granada zu erkunden. Dafür, dass es eines der beliebtesten Touristenziele Nicaraguas ist, ist kaum etwas los. Schaut man auf die Karte von Granada, entdeckt man überall Hostels, Hotels und andere Unterkünfte. Auf den Straßen sieht man aber vor allem Einheimische. Den ganzen Tag begegnen wir nur einer Handvoll anderer Touristen. Die kleine Stadt selbst ist für ihre Kolonialarchitektur bekannt. Sie liegt direkt am Fuß eines Vulkans und am See. Man spaziert auf Kopfsteinpflaster durch wunderschöne bunte Häuserreihen, jedes der schmalen Häuser in einer anderen Farbe bemalt, an Kirchen vorbei, die zum Teil restauriert, zum Teil aber ihre Altersspuren kaum verstecken können. Bei einigen blättert der Putz ab, ihr ehemaliger Prunk ist nur noch zu erahnen. Langsam bummeln wir durch die Straßen, über Plätze auf denen Essen und Kunsthandwerk verkauft wird, an leeren Tischen vor Restaurants vorbei, über den vor Leben pulsierenden Markt. Es riecht unangenehm, wir machen große Schritte über die am Boden entlanglaufenden Flüssigkeiten. Eine Frau an einem Fischstand, die auch noch lebende aufgespießte Krebse verkauft, fragt uns was wir mitnehmen wollen. „Nichts, danke.“, sagen wir und setzten unseren Weg durch bunte Klamotten, riesige Papayas und übel riechende Flüssigkeiten fort. Aus dem einen Laden schallt „Stille Nacht, heilige Nacht“ und mixt sich unangenehm mit dem Raggaeton aus dem Lautsprecher direkt daneben. Es folgt „Feliz Navidad“. Bunte Busse, Autos und Pferdewagen bahnen sich einen Weg über den Markt. Granada ist schön, voll Leben und vor allem authentisch. Aber doch fehlt etwas: die Menschen, die den Ort besuchen. Man sieht es überall, die leeren Restaurants, die Pferdekutschen, die für potentielle Kunden bereitstehen (bei den armen Tieren kann man die Rippen zählen), unzähligen Hostels, Touranbieter, die verzweifelt versuchen, uns zu einer Tour zu überreden: Granada lebt vom Tourismus. Oder hat es jedenfalls. Der Tourismus scheint genauso dünn wie die Pferde vor den Kutschen. Wie sich die Hostels noch über Wasser halten können, bzw. ob sie überhaupt noch dazu in der Lage sind, weiß ich nicht. Die Gewalt, die über dieses Land hinweggeschwappt ist, hat die Besucher mit sich gerissen. Und die Menschen haben nicht nur ihre Freiheit was ihre Meinungsäußerung betrifft, sondern zum Teil auch ihre Existenzgrundlage verloren. Hier in Granada wird uns deutlich, wie wichtig Tourismus sein kann und wie verheerend die eigentlich doch so wichtige politische Initiative der Bevölkerung. Als Touristen sind wir hier sicher, solange wir nicht politisch aktiv werden. Die Gewalt richtet sich nicht gegen Leute wie uns, sondern in erster Linie vom Staat gegen die eigene Bevölkerung. Einmal fährt ein Pickup an uns vorbei. Auf seiner Ladefläche vier Soldaten mit Maschinengewehren. Misstrauisch schaue ich ihnen hinterher…
Am nächsten Tag besuchen wir die Laguna de Apollo, einen Kratersee ganz in der Nähe von Granada. Die ersten paar Kilometer mit dem Bus, die letzten per Anhalter. Wir müssen es gar nicht lange versuchen, der zweite oder dritte Pickup lässt uns auf seine Ladefläche klettern, wo schon zwei andere sitzen. Kurz vor dem Ziel geht es nun ein paar hundert Meter steil bergab, die Lagune liegt in einem Krater, wunderschön eingebettet in dunkelgrünen Laubwald. Während unseres kleinen Spaziergangs kommen wir an einigen Hotels und an ein paar Blechhütten vorbei. Einer der Bewohner derselben wäscht gerade Wäsche auf einem im See angebrachten Waschbrett, ein älterer Mann sitzt vor einem der Verschläge und singt aus voller Kehle die Melodie mit, die aus irgendeinem Gerät schallt und die uns dank ihrer Lautstärke noch einige Meter begeitet. Es ist wunderbar in der Lagune zu baden, sie hat genau die richtige Temperatur, rundherum der Wald, im Hintergrund der Vulkan an dessen Fuß Granada liegt und der regelmäßig Aschewölkchen ausstößt. Auf einem kleinen Trampelpfad steigen wir die 200 Höhenmeter bis zur Straße hinauf. Ein letzter Blick zurück, auf die blau schimmernde Lagune inmitten des Grüns. Ihr dunkles Blau verrät ihre Tiefe: an der tiefsten Stelle ist sie 180 Meter tief! Dann sind wir an der Straße. Ein Mann geht auf der anderen Straßenseite und kommt übers ganze Gesicht strahlend und mit ausgestreckter Hand auf uns zu. Er hat Down-Syndrom und ich glaube man kann keinen lieberen Menschen treffen, als einen Nicaraguaner mit Down-Syndrom. Denn die Menschen hier sind unglaublich lieb, freundlich und aufgeschlossen. Fast jeder schenkt einem ein Lächeln, wenn man auf der Straße unterwegs ist. Man fühlt sich sofort willkommen. Und Menschen mit Down-Syndrom sind ja bekannt für ihre Liebenswürdig- und Freundlichkeit. Grinsend klatscht der Mann in die Hände und sagt „Amen! Amen!“. Dann zieht er 10 Córdoba (etwa 30 Cent) aus seiner Hosentasche, wedelt damit vor unseren Gesichtern und erklärt, dass er die immer bekommt, wenn er in die Kirche geht. Er deutet zurück und gibt uns zu verstehen, dass er dort hinten mit seiner Mutter, seinem Vater und einer Kuh lebt. Dann verabschiedet er sich mit einem Handschlag. Es macht so glücklich, solche lieben und zufriedenen Menschen zu begegnen. Als wir wenig später in Granada ankommen sind wir erfüllt von Dankbarkeit für diese Begegnungen. Das letzte Stück legten wir wieder mit dem Bus zurück. Diesmal in einem Minibus, dessen Sitzplätze so eng waren, dass wir nicht wussten, wo unsere Knie unterbringen, nachdem wir den ersten Teil gebückt im Stehen gefahren sind, weil die tiefe Decke kein aufrechtes Stehen erlaubte. Zumindest uns nicht. Als eine Familie mit zwei kleinen, vielleicht vierjährigen Jungs sich zum Aussteigen fertig macht, nickt mich einer der beiden mit vorgeschobenem Kinn, eingequetscht zwischen seinem Vordermann und seinem Vater, auffordernd an. Ich muss breit grinsen. Und er strahlt übers ganze Gesicht zurück. Seine dunkelbraunen, fast schwarzen Augen lachen mit. Er dreht den Kopf, nur um mich dann wieder anzugucken. Bei uns beiden ist das Grinsen nicht verschwunden. Bevor er aussteigt, dreht er sich nochmal um und ich spüre, dass das Lächeln, das er mir geschenkt hat, noch lange auf meinem Gesicht Widerhall findet.
Nach den 2 Km. bis zum Ortsausgang muss ich mein T-Shirt erstmal wechseln. Soll ja keiner ersticken. Wir wollen unser Glück mit dem Trampen versuchen, nach unserem zweimaligen Erfolg gestern. Wie immer suchen wir uns einen schönen Platz im Schatten, wo man es gegebenenfalls gut ein paar Stunden aushalten kann, wenn man muss. Das ist hier allerdings nicht der Fall. An diesem Tag erreichen wir noch León, wo wir eigentlich erst einen Tag später ankommen wollten. Und das mit fünf verschiedenen Gefährten! Noch nie hat das Trampen so gut geklappt wie hier. Wir stehen kein einziges Mal länger als fünf Minuten, werden zweimal im Prinzip sofort eingesammelt. Und dazu kommt noch, dass man immer auf der Ladefläche sitzt. Der Wind braust uns um die Ohren und wir genießen die Landschaft, die besonders spektakulär wird, als wir uns auf einer Anhöhe befinden. Unsere Mitfahrgelegenheit, ein LKW-Fahrer aus El Salvador hält an damit wir Fotos machen können und wir steigen aus. Wir, das sind wir zwei, der Fahrer und ein Nicaraguaner, den der Fahrer zuvor schon eingesammelt hatte. Der Lkw hat zwar eigentlich nur den Fahrer- und einen Beifahrersitz aber das Bett gibt’s ja auch noch. Wir sehen die sanften, grünen Hügel hinab, bis zum Meer. Als wir unseren Weg fortsetzen, erstreckt sich vor uns der „Lago de Managua“, der See an dessen Fuß die Hauptstadt liegt. Ein wunderschöner Vulkan stößt seinen rauchigen Atem in kleinen Wölkchen in den Himmel. Ein wenig später, der Nicaraguaner ist bereits ausgestiegen, erheben sich drei weitere Vulkane in der Ferne, es ist ein überirdischer Anblick und bald sind wir auch noch in der Mitte diesen Vulkan-Halbkreises. Nicaragua fesselt und berührt uns zutiefst.
Mit Couchsurfing hatten wir kein Glück und so müssen wir unser Hostel nach einer Nacht gegen ein weiteres austauschen. Es macht einmal die Woche zu, weil zu wenige Leute da sind. Am Morgen noch hatten wir unseren vorigen Hostelbesitzer gefragt, ob es noch möglich ist, vom Tourismus zu leben. Naja, sagte dieser darauf, er putze selbst, weil er keine Putzkraft mehr bezahlen könne und habe neben der Unterkunft noch eine Apotheke und Bananenstauden, mit denen er einmal die Woche den Markt beliefere. Vor April diesen Jahres sei Granada voll gewesen von Touristen, es hätte an Betten gemangelt, erzählte er uns. Er hätte elf Monate im Jahr alles durchgängig belegt gehabt (elf Zimmer). Außer dem unsren waren nur zwei von den übrigen zehn Zimmern belegt. Nachher erzählt uns ein Mann, der uns einen „Ride“ gibt, wie es hier heißt, dass die gesamte Tourismusbranche um 80% eingebrochen sei. Seit April. Die Menschen werden förmlich für ihre politische Initiative bestraft. Nachdem er sich kritisch über die Regierung geäußert hat, wagen wir vorsichtig zu fragen, wie es um die Meinungsfreiheit bestellt sei. Er erzählt uns von dem Gesetz das erlaubt, friedliche Demonstranten als Terroristen zu bestrafen, davon dass erst kürzlich das Büro eines bekannten unabhängigen Journalisten geschlossen und ebendiesem Journalisten verboten wurde, weiterhin zu veröffentlichen. Und er erzählt uns, dass es so nicht weitergehen kann. Entweder der Präsident lässt Neuwahlen veranlassen oder es wird Krach geben. Tatsächlich haben auch wir das Gefühl, in einem Zeitfenster zu reisen, einem, in dem es noch sicher ist für Touristen, einem zwischen der brutalen Aktion gegen friedliche Demonstrationen und der Antwort auf diese. Wie lange es sich hinziehen wird, bis sich die Menschen erneut erheben, wie lange sie dieses Schicksal der absoluten Unterdrückung erdulden werden, bleibt fraglich. Es könnte jeden Moment ein Bürgerkrieg ausbrechen, dieses Gefühl haben wir. Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft.
Am folgenden Tag machen wir uns auf den Weg zum Meer und mieten uns auch dort in einer Unterkunft ein. Außer uns ist noch ein Brite da, der hier aber schon seit Jahresanfang lebt. Wir schaukeln in den Hängematten, sehen dem Sonnenuntergang zu, lassen uns von den Wellen des Pazifiks wie als Kinder vor Freude kreischend an den Strand spülen und genießen es, alles ganz für uns alleine zu haben. Und weil es so schön ist, bleiben wir gleich noch eine Nacht. Die Besitzerin des Hostels scheint ganz froh darum zu sein, seit Mai hatte sie keine zehn Leute da. Den anderen Hostels und Hotels, die sich am Strand eines neben dem anderen aufreihen, wird es ähnlich gehen.
Früh am Morgen machen wir uns auf den Weg. Es ist der 21.12. und wir wollen am 23. in San Salvador sein. Kaum haben wir die Straße erreicht sitzen wir schon wieder in einem Auto. Sechs verschiedene Gefährte bringen uns bis an die Grenze zu Honduras, darunter sogar ein Taxi (ohne Geld zu verlangen!). Wir dürfen nochmal die spektakuläre Aussicht auf die Vulkane genießen, fahren sogar ganz nah an einem vorbei, den wir alleine besteigen könnten. Kurz überlegen wir es uns. Doch die Zeit ist zu knapp. Diese genauen Planungen machen einem manchmal schon vieles kaputt… Wie gern hätten wir diesen Vulkan erklommen, einen Blick in die brodelnde Lava geworfen und wie gern hätten wir mehr Zeit hier in Nicaragua verbracht! Wir haben eine Verabredung über Couchsurfing für Weihnachten, haben schlecht geplant, Nicaragua zu wenig Zeit gegeben.
Nun stehen wir schon an der Grenze zu Honduras. Seit zwei Stunden. Auf nicaraguanischer Seite ging es schnell, nochmal 2 US$ Ausreise bezahlen und Rucksack durchleuchten lassen, die vielen Papiere an verschiedenen Stellen abgeben und dann kann man sich schon in die lange Schlange der Migration für Honduras einreihen. Einen Ausreisestempel gab es nicht.
Es war eine eindrückliche Zeit, die wir sehr bewusst erfahren und gelebt haben. Eine Woche voll schöner Landschaften und extrem lieber und aufgeschlossener Menschen, die uns voll Vertrauen ihre Geschichten und ihre Situation anvertraut haben. Wir haben nur einen Bruchteil dieses wunderschönen Landes mit seinen liebenswerten Menschen erfahren und es wäre eine Freude noch mehr kennenzulernen und zu erfahren. Es war eine Zeit hier, die wir nocht vergessen werden. Sie war tief beeindruckend und sehr besonders. Wir können jedem nur empfehlen hierher zu kommen, solange die Situation es noch zulässt. Nicaragua hat uns vielleicht am meisten überrascht von allen Ländern bisher und gehört, wenn man so will, zu unseren absoluten Favoriten.
Wir wünschen euch allen eine frohe, besinnliche und ruhige Weihnachtszeit und einen guten Start in das neue Jahr, für das wir euch alles Liebe und Gute wünschen!
Johann und Rebecca
P.s. Den vielen Müll der hier überall rumliegt, habe ich nicht erwähnt, das war, obwohl es das eigentlich nicht ist, dieses Mal doch irgendwie nebensächlich.
(Rebecca)