Silvester wird ein Fest. Ein schönes und ruhiges im Kreise einer unheimlich lieben Familie. Jenny hat uns über Couchsurfing zu sich und ihrer Familie eingeladen. Nun sitzen wir am Tisch, gemeinsam mit Mutter Lidia, Vater Samuel, Jenny, ihrem Bruder Sami, ihrer Schwester Gaby und drei Freunden. Es ist einfach wunderschön. Wir essen von einem riesigen Stück gebackenem Schinken, dazu gibt es Salate und Brot und alle sind mit irgendjemandem ins Gespräch vertieft. Wir fühlen uns wie ein Teil der Familie, schon seit wir angekommen sind. Zuvor hatten uns Jenny und Sami auf eine Stadtrundfahrt mitgenommen, uns verschiedene Orte gezeigt, waren mit uns über den Markt geschlendert und hatten uns verschiedene typische Leckereien gekauft, die wir probieren durften. Kurz bevor wir das Haus betraten, eröffnete Jenny uns, dass ihr Vater keine Ahnung hat, dass wir kommen würden. Mit etwas gemischten Gefühlen gingen wir hinein und wurden so herzlich und mit offenen Armen empfangen, dass wir unsere Zweifel, ob wir hier wirklich erwünscht waren, schnell vergaßen. Wir saßen zusammen, knabberten Süßkram, besuchten Jennys Oma und verbrannten unglaublich laute Knaller. Um Mitternacht ließ das laute maschinengewehrartige Knallen darauf schließen, dass außer uns noch viele andere lange Ketten mit heftig knallenden kleinen Böllern gezündet hatten. Schönes buntes Feuerwerk, wie es bei uns am Himmel zu sehen ist, hielt sich hier eher in Grenzen.
Der nächste Tag wird entsprechend der langen Nacht eher kurz. Wir gehen Jennys andere Oma besuchen, die im Rollstuhl sitzt und sich, als ihre Enkel sie danach fragen, nicht mehr an ihre Namen erinnern kann. Da ihr mein Name noch einfällt, gibt sie Jenny, spitzbübisch grinsend, kurzerhand den Namen Rebecco. Wir machen einen Spaziergang, essen Schokobananen (die Früchte liegen in der Tiefkühltruhe und werden beim Kauf mit Schokolade überzogen) und reden über alles mögliche… Zum Beispiel über Vorurteile, die man in Lateinamerika von Europäern hat. Nämlich dass sich Europäer nicht duschen, sondern allerhöchstens Deo benutzen. Das 18:00 Uhr – Feuerwerk begleitet uns zurück nach Hause. Zu Neujahr gehört hier nämlich nicht nur das Feuerwerk um 0:00 Uhr sondern auch das um 12:00 Uhr und um 18:00 Uhr.
Es ist das erste Mal auf der Reise, dass jemand so viel mit uns unternimmt. Und es ist richtig schön. Gemeinsam brechen wir mit den drei Geschwistern am nächsten Morgen zeitig nach Antigua auf. Schon von weitem sehen wir den mächtigen Kegel des Volcán de Agua, der sich wie ein Riese hinter der kleinen Kolonialstadt Antigua erhebt. Einige Stunden schlendern wir zwischen bunten Häuserreihen und Kirchenruinen umher, schlecken Eis, liegen faulenzend auf einer Wiese und genießen den Blick vom Aussichtspunkt aus über die Stadt. Von einem Ort aus sieht man zwei weitere Vulkane: der Volcán Acatenango und der Volcán del Fuego. Aus letzterem stößt die Erde immer wieder ihren heißen Atem aus, der langsam als langgezogene grauweiße Wolke davonschwebt. Die Vulkane fesseln mich und ziehen mich in ihren Bann. Jedes Mal aufs Neue. Manchmal fällt es mir schwer zu fassen, dass es das was ich da sehe, wirklich gibt. Manchmal erscheinen sie mir eher als von einem anderen Planeten. Wie Wächter ragen sie ganz unvermittelt vor einem auf. Auf ihren Anblick wird man von der Natur nicht vorbereitet. Es sind nicht besonders schöne Berge inmitten von anderen, es sind die umliegenden Hügel weit überragende perfekt geformte Kegel, in deren Nähe man Ehrfurcht empfindet. Ehrfurcht vor diesen Urriesen selbst und vor der Natur. Die Vulkane rufen mir ins Gedächtnis wie klein und unbedeutend wir Menschen doch sind, wie mächtig und voll Kraft die Natur ist. Sie ist es, der wir unser Leben verdanken, das sie im Handumdrehen jedoch auch auslöschen kann.
Wir haben einen wunderschönen Tag zusammen, den wir ein paar Kilometer weiter ausklingen lassen. Zu fünft sitzen wir mit einer herrlichen Aussicht auf das in sanfte Hügel eingebettete Guatemala-Stadt und uns wird nach und nach jedes in Guatemala typische Gericht serviert. Wir probieren uns durch alles durch, nur den Kohl lassen wir lieber weg. Sicher ist sicher. Aus bestimmt sieben verschiedenen Gerichten (die alle sehr lecker waren) haben wir nachher drei Favoriten, bei denen wir beim besten Willen nicht entscheiden können, welches jetzt das beste ist. Dann gibt es noch eine Hauptspeise, dazu wird Atole (ein heißes Maisgetränk) getrunken, dessen Konsistenz gewöhnungsbedürftig ist, weshalb ich es lieber Johann überlasse, dem es sehr gut schmeckt. Die typischen Süßigkeiten dürfen wir natürlich nicht verpassen. Die nimmt uns Jenny für den nächsten Tag mit. Wir fühlen uns unglaublich wohl im Kreise der Geschwister, bzw der ganzen Familie. Dass die beiden Schwestern mich mit meinem Spitznamen „Beccy“ rufen, auf den sie selbst irgendwann zufällig gekommen sind, verstärkt mein Gefühl des Zusammengehörens nur noch. Auch in Guatemala-Stadt selbst fühlen wir uns wohl, obwohl sie in unserem Reiseführer als gefährlich und dreckig beschrieben wird. Diesen Eindruck haben wir nicht. Oftbkommt es einfach auch darauf an, auf was für Menschen man trifft.
Viel zu schnell müssen wir uns von dieser so lieben und herzlichen Familie verabschieden, die uns so viel hat miterleben lassen und so viel gegeben hat. Jenny und Gaby fahren uns noch etwa eine Stunde in die Richtung in die wir wollen. Dann müssen wir uns auch von ihnen schweren Herzens verabschieden. Nachdem das Auto verschwunden ist, suchen wir uns eine gute Stelle zum Trampen und strecken unsere Daumen aus. Wenigstens versuchen müssen wir es, dachten wir uns. Von der Grenze zur Hauptstadt hatten uns Salvadorianer mitgenommen, deshalb hatten wir keine Ahnung, was in Guatemala auf uns zukommen würde. Wir hatten nur in unserem Buch gelesen, dass Trampen in Guatemala im westlichen Sinne nicht üblich ist, da zu unsicher, dass man aber auf bestimmten Pickups (mit Aufbau und als Personentransportmittel gedacht) gegen Bezahlung mitfahren könne. Zwei Reisende, die wir in Costa Rica getroffen hatten und die auch per Anhalter unterwegs sind, hatten jedoch erzählt, trampen sei in Guatemala extrem einfach. Und tatsächlich: nach wenigen Minuten dürfen wir uns auf die Ladefläche eines Pickups setzen und los geht die Fahrt. Die Straße ist zweispurig und führt durch dicht besiedeltes Hochland. Die Vulkane um Guatemala Stadt soeben aus den Augen verloren, ragen schon die Vulkane rund um den Atitlan-See auf. Die letzten Kilometer werden wir von einer Frau in einem klapprigen und verstaubten alten Auto mitgenommen. Ein anderes Mädchen hat sie kurz vorher eingesammelt. Mir schwant Böses als das Mädchen nach dem Preis fragt und der Frau die gewünschte Summe gibt. Wir sind ganz offensichtlich in einer Art Freizeit-Taxi gelandet. Auch wir geben ihr den Betrag nach kuezem Hadeln und beschließen ab jetzt jedes Mal bevor wir einsteigen nochmal sicherheitshalber zu fragen ob man uns einen „ride“ geben will. Wir sind am Atitlan angekommen. Er liegt auf 1500 M.ü.M., in seinem Rücken ragen drei mächtige Vulkane in den Himmel. Es ist eine einzigartige Szenerie, an der man sich kaum sattsehen kann, hat man ein ruhiges Plätzchen gefunden. Wir verzichten auf die Bootsfahrt, die uns zu anderen Dörfern rund um den See führen und uns eine andere Sicht auf die Vulkane bescheren würde und suchen stattdessen auf der Seite des Sees auf der wir sowieso schon sind, ein ruhiges Plätzchen. In dem Ort herrscht jede Menge Trubel. Einheimische (einmal sehen wir eine Familie zu fünft auf einem Motorroller sitzen) und Touristen aus aller Herren Länder sind in den Straßen unterwegs. Restaurants, Hostels und Hotels bieten ihre Dienste an. Eine ganze Straße ist voller Kunsthandwerksstände in die die Verkäufer jeden vermeintlichen Kunden, der auch nur das allerkleinste Interesse an seinen Waren zeigt, auffordern einzutreten, bis man außer Hörweite ist. Indigene Frauen und Kinder in traditioneller Tracht verkaufen ihre Ware auf den Stegen und entlang des Wassers. Ihre Röcke und Oberteile sind farbenfroh. Jeder hat seine ganz eigene bunte Kleidung. Überall tragen Frauen Körbe oder zusammengeknotete Tücher mit verschiedensten Habseligkeiten auf den Köpfen. Wir sind in einer ganz anderen Welt.
Unser nächstes Ziel ist Monterrico, ein kleiner Küstenort direkt am Pazifik, den wir am späten Nachmittag erreichen. Wir waren uns nicht sicher, ob wir den Ort an diesem Tag überhaupt noch erreichen könnten, da wir erst recht spät aufgebrochen waren und dann erst nach einer halben Stunde feststellen mussten, dass wir auf diesem Wege wohl kaum unser Ziel erreichen würden. Während unsere Karte eine durchgängige Straße eingezeichnet hatte, erzählten uns die Einheimischen, dass es diese Straße nicht gäbe. Wir mussten Panajachel also daraufhin ersteinmal zu Fuß vom einen zum anderen Ortsausgang durchqueren, bevor wir wieder trampen konnten. Für eine Strecke von etwa 250 Km., die zudem nicht immer auf der Hauptroute verlief, brauchten wir zu guter Letzt nur vier Stunden. Dabei waren wir in, bzw. auf sieben verschiedenen Fahrzeugen mitgefahren! Ihr könnt euch vorstellen, wie wenig wir warten mussten. Unsere vorletzte Mitfahrgelegenheit war dabei eine besondere Erfahrung: Gemeinsam mit einem Schäferhund fahren wir auf der Ladefläche Richtung Küste. Er ist ein bisschen unruhig und findet keine gemütliche Sitzposition, zumal wir ein Viertel der Ladefläche einnehmen. Die privaten Gegenstände der Familie brauchen etwa die Hälfte der Ladefläche und der Hund hat nurnoch ein kleines Viertel. Als Rambo sich vorwärts ausrichtet sage ich im Spaß zu Johann er müsse sich vorwärts setzen weil ihm sonst schlecht würde. Zu früh gelacht. Es geht noch 5 Minuten gut, dann hört der Gutste plötzlich auf zu hecheln und übergibt sich in seine Ecke. Jetzt ist die Fahrt nicht mehr so lustig. Verzweifelt versuchen wir uns und unsere Rucksäcke vor dem Erbrochenen zu schützen. In den Rillen der Ladefläche schwappt es langsam bei jeder Unebenheit oder Steigung auf uns zu. Rambo ist auch nicht so begeistert, als er einmal hineintritt. Angeekelt hebt er die Pfote an. Doch irgnwann ist es ihm egal und jedes Mal wenn er auftritt, müssen wir den Spritzern ausweichen. Wir sind froh, als wir endlich aussteigen können.
Wir stellen unser Zelt am Strand auf – zwischen Palmen und unendlich viel Müll. Der Müll ist überall anzutreffen, am Straßenrand, auf Spielplätzen, überall. Einmal fahren wir sogar an einer Art sporadischen Mülldeponie vorbei, wo scheinbar aller Müll nur den Abhang hinuntergekippt und angezündet wird. Büsche und Bäume sind unter den stinkenden Massen begraben, Hunde und Geier suchen nach Fressbarem. Doch zurück nach Monterrico: Wir wollen am nächsten Tag der Befreiung von kleinen Schildkröten zusehen. Da Schildkröteneier sehr gerne ausgegraben und gegessen werden (von Menschen nicht von irgendwelchen Tieren) muss man Wege finden, die Meeresbewohner zu schützen. Die frisch gelegten Eier werden ausgegraben und geschützt wieder eingegraben. Sind die Schildkröten geschlüpft, werden sie dann in ihr Leben entlassen. Touristen kommen von November bis Februar jeden Sonntag, um die Schildkrötenbabys freizulassen. Jeder (der bezahlt hat) bekommt eine Kokosnussschale in die Hand, in die eine kleine Schildkröte gesetzt wird. Gleichzeitig lassen alle die kleinen Tiere aus den Schalen krabbeln. Unbeholfen, die einen schneller, die anderen langsamer, machen sie sich auf den Weg ins Meer. Wackelig robben sie auf das Wasser zu. Die einen haben Glück und werden von einer Welle bis hinter die Brandung getragen, andere werden von Wellen erfasst und am oberen Ende abgesetzt. Es ist ein schönes und irgendwie auch ergreifendes Bild zu sehen, wie diese kleinen Geschöpfe den Weg in ihr Leben finden. Zur gleichen Zeit neigt sich die Sonne als glutroter Feuerball dem Horizont entgegen. Ich weiß gar nicht, was ich lieber zusehen möchte. Mit dem Untergang der Sonne wird auch die letzte Schildkröte von einer Welle erfasst und vom Wasser davongetragen. Was sie da draußen wohl erwartet?
Auch die nächste Strecke schaffen wir in einem Tag. Wir kehren ins Hochland zurück, passieren dabei den Volcán Santa Maria mit seinem kleinen Nebenvulkan Santiaguito. Letzterer ist wie der Auspuff des Santa Maria. Er ist grau von Asche und Sand und pustet regelmäßig seinen heißen Atem in den Himmel. Einen der vielen Vulkane hier besteigen, das wäre schön. Doch wir beschließen, dass unser Budget das eher nicht zulässt. In der Stadt Xela oder auch Quetzaltenango genannt, steigen wir aus. Die Kälte überrascht uns. An der Küste war es fast schon brütend heiß, hier müssen wir zum ersten Mal seit mehreren Monaten mal wieder Pulli UND Regenjacke anziehen. Es hat tatsächlich unter 10ºC Grad. Tatsächlich hatten wir das irgendwie nicht erwartet. In unserer Vorstellung war ganz Guatemala warm. Aber wir genießen die Kälte. Nach so langer Zeit der Wärme und des Schwitzens kommen uns die zwei Tage, die wir in einer Pfirsichplantage über Couchsurfing verbringen dürfen, sehr gelegen. Wir erkunden den Markt im Nebenort. Früchte aller Art werden hier verkauft. Wie immer gibt es fast von allem etwas. Alte, gebückte Frauen drängen sich die schmalen Gänge zwischen den Ständen entlang, ein Mann ohne Beine schiebt sich auf einem Skateboard mit einem Holzklotz in der Hand zwischen den Beinen entlang und nimmt Almosen entgegen, ein Kind steht mit seinem blinden Vater inmitten des Gedränges, schüttelt einen Becher mit Geld und bittet um Geldstücke, indigene Frauen in schöner traditioneller Kleidung tragen Körbe mit Kleidung, Früchten, Teig oder auch Hühnern auf dem Kopf. Zur Balance haben sie ein zusammengerolltes Tuch zwischen Korb und Kopf. Es ist ein heilloses Durcheinander, das uns jedoch jedes Mal aufs Neue anzieht und fasziniert. Es ist kunterbunt. Geschubse und Gedränge machen niemandem etwas aus, niemand wird böse. Selbst als ein Frau im Vorbeigehen einer Marktfrau vier Tortenstücke vom Tisch fegt, gibt diese nicht ein böses Wort von sich. Diese Ruhe und Gelassenheit der Menschen finde ich schon sehr bewundernswert. In den engen „Chickenbuses“, wie die engen Busse, die in ganz Zentralamerika verkehren, von Ausländern gern genannt werden (weil die Leute alles darin transportieren, eben auch Hühner) ist es dasselbe. Durch die engen Gänge passen wir mit unseren Rucksäcken kaum, wenn wir mal einen Bus nehmen müssen (zum Glück war das in Guatemala nur einmal der Fall, als wir die letzten Kilometer nach Guatemala-Stadt zurücklegen mussten). Wenn der Bus jedoch voll ist, quetschen sich auch im Gang die Leute wie die Ölsardinen zusammen. Und dann muss natürlich einer von ganz hinten aussteigen…
Es geht weiter durch den Westen Guatemalas, über eine weniger befahrene Straße. Auf der Suche nach einem Zeltplatz sprechen wir am Abend einen Mann mittleren Alters an und fragen ihn, ob er einen Platz für unser Zelt wüsste. Daraufhin schließt er uns seine Haustür auf und zeigt uns ein Zimmer in dem wir die Nacht verbringen dürfen. Alles was er uns sagt, zeigt er mit großen Handbewegungen, weil er das Gefühl hat, wir verstünden ihn nicht. Er, seine Schwester und seine Mutter wissen nicht so richtig etwas mit uns anzufangen, sind sehr schüchtern aber auch sehr zuvorkommend. Mit der Schwester kommen wir ein wenig ins Gespräch. Als wir die drei am nächsten Tag verlassen, haben wir sie schon ins Herz geschlossen. Es geht langsam weiter, immer von Ortschaft zu Ortschaft. Mal auf der Ladefläche eines Pickups, mal im Auto. Ein Mann schenkt uns an einem der Hühnchenstände die er verwaltet frittiertes Hühnchen und gegen Nachmittag haben wir das große Glück zwei Männer zu erwischen, die uns die restlichen Kilometer Holperpiste bis Cobán mitnehmen. Unterwegs halten sie zweimal, um einmal einer Frau, einmal zwei Kindern ein paar Münzen zuzustecken. Sie füllen die Löcher in der Straße auf, die aus politischen Gründen nie fertiggestellt wurde. Das vielleicht vierjährige Mädchen schaut den Beifahrer bettelnd an un sagt wieder und wieder: „No hay agua!“ (Es gibt kein Wasser!), während ihr wenige Jahre älterer Bruder am Fenster des Fahrers um mehr Geld bittet. Nachdem wir die beiden hinter uns gelassen haben, frage ich die Männer, was das Mädchen meinte. Man sieht an den mit Wasser gefüllten Löchern und der matschigen Straße, dass es erst kürzlich geregnet haben musste. Einer der beiden erklärt uns, dass die Kinder um Süßgetränke betteln, bzw. um das Geld um sich diese zu kaufen. Er erzählt uns, dass es ein großes Alkoholproblem gäbe und den Kindern oft nur die Möglichkeit bleibt zu betteln, weil ihre Eltern sie sich selbst überlassen. Auch staatliche Hilfen für Schulausrüstung würden oft im Glas landen. Ein anderer Mann hatte uns erzählt, die Hilfen gäbe es aus genau diesem Grund nicht mehr…
Wir dürfen die nächste Nacht bei der Schwester und der Mutter von Jennys Freundin verbringen, die mit einem Hund, einem Fisch und einer Schildkröte in Cobán leben und uns herzlichst empfangen. Die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft die wir erfahren dürfen, erstaunt uns immer wieder, genauso wie die Herzlichkeit und Offenheit so vieler Menschen. Bei Nicolle und iher Mutter erfahren wir das einmal mehr. Als wäre es nicht genug, uns bei sich aufzunehmen, schenkt sie uns noch ein halbes Kilo Plätzchen, von denen sie zu Weihnachten sage und schreibe 25 Kg gebacken hat, vier gute Stückchen Wurst und ein Stück Weihnachtskuchen mit Rum. Wir wären dann versorgt…
Zwei Polizisten nehmen uns auf der Ladefläche ihres Streifenwagens mit. Bei einer kurzen Pause erzählt uns der eine, er hätte noch vier Jahre bis zur Rente. Wir müssen ihn aufgrund seines Alters ein bisschen komisch angeschaut haben, denn er erzählt uns daraufhin, dass man nach 20 Jahren der Arbeit die Möglichkeit hat, in Rente zu gehen. Das erklärt, warum ein geschätzt Mittdreißiger in vier Jahren in Rente gehen kann. Bei uns würde so manch einer Luftsprünge machen, wenn er so früh schon in Rente gehen könnte. Dabei kann ich mir kaum vorstellen, dass man von der Rente in Guatemala halbwegs ordentlich leben kann, da schon der Mindestlohn, am Tag nur so viel ist, wie in Deutschland in einer Stunde.
Wir sind inzwischen im Tiefland, also im Regenwald angekommen. Man sieht allerdings nur selten richtigen Wald. Es gibt große Plantagen von Ölpalmen und Weidelamd, dort wo ursprünglich Regenwald war. Und doch ist die Landschaft sehr schön. Bizarre bewaldete Hügel, die wie riesige wahllos hingeworfene Felsbrocken aussehen, machen die Fahrt durch das Grün nur noch schöner. Inmitten dieser Umgebung bleiben wir zwei Tage auf einem Campingplatz, den wir ganz für uns alleine haben. Ein breiter, aufgrund des Regens leider brauner Fluss fließt aus einer Höhle heraus. Das Wetter ist entgegen unseren Erwartungen nicht heiß sondern genau richtig. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm und abends kühlt es ab. Morgens weckt uns das Blöken der Schafe, die auf der Wiese das Gras kurz halten. Wir spielen, schaukeln auf einer Schaukel über dem Fluss und baden.
An dieser Stelle eine kleine Anekdote:
Erst vor kurzem haben wir uns ein neues Shampoo gekauft. Unsere 750 ml-Flasche ist bis zum Rand voll mit Shampoo. Wahrscheinlich ist sie das immernoch. Wir haben gerade gebadet und wollen uns noch waschen. Johann holt also die Flasche und bleibt oberhalb am Ufer stehen. Er holt Schwung um mir die Flasche zuzuwerfen. Beim ersten Mal kann ich ihn noch durch irgendeine Frage auf einen anderen Gedanken bringen, zumal ich davon ausgehe, dass es ein Witz ist, dass er die Flasche ins Wasser schmeißen will, damit sie dann zu mir runtertreibt und ich sie raushole. Und dann tut er es doch und steht am Uferrand und wartet, dass die Flasche wieder auftaucht. Eine Flasche mit 750 Milliliter Shampoo. Nein, die schwimmt nicht! Aber ich glaube, das hat er jetzt auch verstanden. Dank des trüben Wassers haben wir sie natürlich nicht wiedergefunden…
Als wir am Abend im Ort direkt an der Grenze zu Belize in unserem Zelt übernachten, denken wir an unsere Zeit in Guatemala zurück. Wir waren anfangs sehr skeptisch, was das Trampen und Zelten hier betraf, hatten uns darauf eingestellt womöglich viel Bus zu fahren und in Hostels zu übernachten. Man hört und liest viel über Guatemala, viel Gutes was die Natur und Sehenswürdigkeiten betrifft (es gibt viele Mayaruinen zu besichtigen) und viel weniger Gutes von Raubüberfällen bis zu Entführungen und Todesfällen. Doch tatsächlich haben wir uns sehr sicher gefühlt, sind unglaublich vielen offenen und herzlichen Menschen begegnet und mussten keine schlechte Erfahrung machen. Selbst in Guatemala-Stadt, das als besonders gefährlich hervorgehoben wird, fühlten wir uns sicher und wohl, was vielleicht auch zum Teil an den lieben Menschen lag, mit denen wir die Stadt kennenlernen und unterwegs sein durften. Guatemala wird uns als recht dicht besiedeltes aber schönes, besuchenswertes Land mit großer Vielfalt und warmherzigen und hilfsbereiten Menschen in guter Erinnerung bleiben.
Viele liebe Grüße,
Johann und Rebecca
(Rebecca)