Zweieinhalb Wochen zu viert

Nach einer kurzen Nacht hinter dem Sportzentrum in Fairbanks mit Elias, verbringen wir den nächsten Tag mit Einkaufen, essen 3 Kilogramm Eis zu dritt und planen die kommenden Wochen mit Samuel, Rebeccas Bruder. Nachdem nun sicher ist, dass die Kanutour aufgrund des zu niedrigen Wasserstands nicht stattfinden wird, werden wir zweieinhalb Wochen zusammen mit Elias unterwegs sein und dann noch zwei Wochen zu dritt mit Samuel schauen was wir machen.

Im Visitor Center schleicht die ganze Zeit eine Mitarbeiterin um uns herum und versucht uns weiterzuhelfen. Als sie fragt wo wir schlafen, sagen wir ihr, dass wir wie die Nacht davor, hinter dem Sportzentrum auf dem Parkplatz übernachten werden. Darauf erwidert uns die Frau, die sich uns als Michaela vorstellt, dass sie das nicht zulassen kann, dass sie allerdings an einem See und Grundstück ein bisschen außerhalb von Fairbanks lebt und wir herzlich gerne bei ihr schlafen können. Das Angebot nehmen wir glatt an und fahren nach ihrem Feierabend mit ihr heim. Dort werden wir von zwei Hunden begrüßt und in die Holzhütte neben ihrem Haus gebeten, wo wir es uns gemütlich machen sollen. Gesagt getan. Danach verbringen wir die halbe Nacht bei Michaela im Haus und reden. Am Morgen werden wir mit einem Frühstück mit Toast, Ei, Speck und Obstsalat begrüßt und bekommen unglaublich leckere selbstgemachte Blaubeermuffins mit auf den Weg. Wir fühlen uns wie zuhause. Eher besser! Und dazu kommt, dass heute der Tag gekommen ist, an dem Samuel ankommt. Am Abend ist es dann soweit und Rebecca sieht ihren Bruder nun wieder das erste mal nach über eineinhalb Jahren. Ich natürlich auch. Und schon geht es los. Wir haben uns zusammen entschlossen, zuerst den Dalton-Highway nach Deadhorse ganz im Norden von Alaska am Nordpolarmeer, zu fahren. Noch am ersten Tag kommen wir ein gutes Stück raus aus Fairbanks und übernachten auf einem Zeltplatz im Wald an einem Fluss. Es regnet. Genau an dem Tag, an dem Samuel kommt, schlägt das Wetter um und die zweimonatige Trockenperiode ohne einen Regentropfen und mit Temperaturen über 30 Grad, wird durch Regen abgelöst. Auch die Wettervorhersage lässt einem kaum Hoffnung auf Sonne.

Die folgenden 800 Kilometer bis zum Ende der Straße sind trotz des zwar nicht miserablen, aber dennoch sehr durchwachsenem Wetter, sehr interessant. Zunächst geht es durch schier endlose Waldlandschaft. Es geht immer wieder über Bäche und Flüsse, an mehr oder weniger verbrannten Waldabschnitten vorbei und dann über den sagenumwobenen Yukon. Der fast ein Kilometer breite Fluss zieht seine unzähligen Schleifen durch das Land und bildet eine natürliche Schneise, die man nur über lange Brücken überqueren kann. Hier scheint er seine klare, sprudelnde Jugendlichkeit verloren zu haben, wie wir sie in Kanada beobachten konnten. Er ist groß, breit, ruhig und braun. Er ist erwachsen geworden. Seine Lebendigkeit hat er verloren. An Ruhe gewonnen. Und dennoch ist es noch ein langer Weg bis zu seinem Tod. Seiner Auflösung. Seines Verschmilzens mit dem Meer. Ein beeindruckender Fluss.

Der Wald löst sich langsam auf. Nur noch mannshohe Bäume säumen die nur teilweise asphaltierte Straße. Und gerade denkt man, dass man nun bald die baumlose Tundra erreichen wird, da beginnt auch schon wieder der Wald. Wir halten, essen zu Mittag, angeln ein oder zwei Äschen und fahren dann weiter. Wir fahren über den Polarkreis. Es wird bergiger. Wir kommen in die Brooks Range. Die Straße schlängelt sich an rauschenden Flüssen entlang. Dann auf einen Pass hinauf. Weites Land. Sehr weit. Immer wieder kommen einem LKWs entgegen, die Güter zwischen Fairbanks und Deadhorse transportieren, wo die Ölindustrie boomt. Auch andere Touristen mit ihren Autos und Campern sieht man immer wieder. Genauso wie die Pipeline, die mehr oder weniger parallel zur Straße verläuft und das Öl aus Deadhorse nach Valdez an der Südküste befördert. Nördlich der Brooks Range haben wir nun wirklich die Tundra erreicht. Das erste nennenswerte Tier, das wir auf dieser Strecke sehen, ist ein Polarfuchs. Wir halten an und beobachten ihn. Als wir aussteigen lässt er die acht Mäuse, die er im Maul hatte, fallen und rennt im Eiltempo davon. Noch am gleichen Tag steht das am Straßenrand, was Elias unbedingt sehen wollte: Moschusochsen. Im Visitor Center in Fairbanks sagte man uns noch, dass die Moschusochsen weit draußen in der Tundra, fern von der Straße seien. Bei uns jedoch nicht. Direkt neben der Straße grast eine Gruppe von etwa 15 Tieren mit Jungen. Die mit ihrem zotteligen Fell sehr urig aussehenden Tiere sind tatsächlich viel kleiner, als wir alle vier dachten. Wir beobachten sie eine Zeit lang und fahren dann weiter. Dann, genau dort wo wir unser Nachtlager aufschlagen wollen, steht erneut eine Gruppe Moschusochsen. Auf einer Insel im Fluss mit den Bergen im Hintergrund bieten sie ein perfektes Bild. Wir schlagen unser Zelt am Ufer auf, während Elias noch am fotografieren ist. Doch dann macht sich die kleine Herde auf den Weg von der Insel ins Gebüsch. Sie sind weg und es bleibt die Erinnerung. Eine schöne Erinnerung.

Am folgenden Tag fahren wir bis Deadhorse. Auf dem Weg sehen wir Kraniche und vereinzelte Rentiere, die sich, nicht mit den großen Herden auf den Weg nach Süden gemacht haben. In der Ferne der pottebenen Landschaft erscheinen irgendwann die Fabrikgebäude von Deadhorse. Und sonst gibt es auch nichts. Es gibt zwei Tankstellen, einen Souvenirladen, eine handvoll Hotels und einen kleinen Flughafen. Sonst nichts. Es ist hässlich. Containerburgen als Wohnungen für die Arbeiter, die hier zwei Wochen arbeiten und dann zwei Wochen zuhause sind. Alles dreht sich um’s Öl. An das Nordpolarmeer kommt man nicht. Das gesicherte Gelände bildet eine Mauer zwischen Straßenende und Meer. Einzige Lösung ist eine zweistündige Bustour durch die Ölfabrik durch, zum Meer hin, wo man bei Nieselwetter und Wind ein kleines Bad nehmen kann und wieder hinausfährt. Wir entscheiden uns gegen eine Tour. Auch weil wir dann erst am nächsten Tag teilnehmen könnten und die Aussicht auf eine Nacht in oder bei Deadhorse keinem von uns wirklich zusagt. Also machen wir uns nach dem Füllen des Tanks wieder auf den Weg gen Süden, auf dem bis auf eine Elchsichtung nichts Nennenswertes passiert.

Nach insgesamt einer Woche kommen wir wieder in Fairbanks an. Es regnet in Strömen und wir lechzen alle nach Wärme. Wir überlegen uns, eine der umliegenden Thermalbäder zu besuchen, doch das was uns am meisten zusagen würde, hat leider geschlossen. Also gehen wir nach Hause, zu Michaela, und übernachten eine Nacht im Warmen und Trockenen. Michaela schlägt uns vor, noch länger als nur diese eine Nacht zu bleiben. Ich glaube, sie hat gerne jemanden um sich, da sie außer ihren zwei Hunden niemanden hat. Wir möchten jedoch weiter in den Süden in Richtung der Kenai-Halbinsel, da wir gesehen haben, dass es dort sehr sonnig sein soll. Michaela geht sicher, dass wir wieder kommen, da sie uns anbietet, ein paar Dinge bei ihr zu lassen, die wir nicht brauchen, um sie später abholen zu kommen. Gesagt getan. Wir deponieren ein paar Dinge und fahren am folgenden Tag los. Gegen Abend kommen wir am Montana River an, wo ich gelesen habe, dass es dort Lachse geben soll. Die Fahrt war an diesem Tag nicht besonders spannend. Der Highway zwischen Fairbanks und Anchorage ist nicht atemberaubend und das Wetter auch nicht. Hier am Montana River regnet es zumindest nicht mehr. Gleich nach dem Aufstellen des Zeltes gehen wir hinunter zum Fluss und trauen unseren Augen kaum. Der Fluss ist gefüllt mit Lachsen. Vor allem Buckellachse stehen im Fluss. Dazwischen der ein oder andere knallrote Königslachs und die ersten Silberlachse sind auch schon auf dem Weg in die Flüsse. Elias und ich versuchen unser Glück und wir fangen tatsächlich ein paar. Schnell merken wir aber, dass die nicht mehr genießbar sind. Die teilweise vollkommen zerfledderten und angefaulten Tiere sind bereit zum Sterben. Bei ihrem unglaublichen Kraftakt, dem Hinaufschwimmen der Flüsse, stecken sie all ihre Energie im die Eier und das Schwimmen. Das Fleisch leidet und sie verfaulen im wahrsten Sinne des Wortes, bei lebendigem Leibe. Manche Lachse schwimmen die über 4000 Kilometer den gesamten Yukon hinauf, während andere nur wenige Kilometer aus dem Meer bis zu ihrem Laichplatz haben. Und je näher sie zu ihrem Laichplatz kommen, desto mehr verändern sie sich in Hinsicht auf Form, Farbe und Essbarkeit. Von nun an in Richtung Süden, ist jeder kleine Bach gefüllt mit Lachsen. An manchen Stellen liegen viele tote Lachse, wobei sich nun jeder selbst vorstellen kann, wie das wohl riecht.

Wir fahren bei Sonnenschein, so wie es vorhergesagt war, durch Anchorage. Eine Stadt, die auf den ersten Blick uninteressant aussieht und vor der wir aufgrund von Gangaktivitäten gewarnt wurden. Und wir verlassen Anchorage auch gleich wieder. Wir fahren an einer Meeresbucht entlang, in der sich kaum Wasser befindet, da gerade Ebbe ist. Bekannt ist die Bucht durch die sogenannte „Bore Tide“, die jedes mal entsteht, wenn die Flut einsetzt und das Wasser in einer bis zu zwei Meter hohen Welle, beginnt die Bucht zu fluten. Die kommenden Tage fahren wir immer weiter Richtung Süden. Das Wetter könnte man als traumhaft bezeichnen. Wir verbringen zwei Nächte an zwei verschiedenen Seen. Der eine ganz klar, in den nur durch einen kleinen Bach, jedes Jahr über 33 000 Rotlachse schwimmen. Der andere mit türkisblauem Gletscherwasser, durch den der Kenai River fließt. Auf dem Weg zwischen den beiden Seen fahren wir an einem Schwarzbär vorbei, der gerade versucht hatte, die Straße (es war ein Schotterweg) zu überqueren. Wir kommen direkt neben ihm zum Stehen und er schaut etwas verdutzt in die Autofenster, hinter denen unsere genauso verdutzten Gesichter zurückblicken. Dann schlendert er in aller Seelenruhe vor dem Auto über die Straße und verschwindet im Wald. So stellt man sich Alaska vor oder? Berge, Lachse und Bären! 🙂

Unser nächstes Ziel heißt Homer und liegt ganz im Süden der Kenai-Halbinsel. Homer liegt auf einem ganz dünnen langen Streifen, der mehrere Kilometer lang ist. Wenn ich Homer mit einem anderen Wort beschreiben müsste, würde ich das Wort „Parkplatz“ nehmen, denn tatsächlich bestehen gefühlt zwei Drittel der Fläche Homers aus Parkplätzen, die zudem auch noch gefüllt sind. Wem die ganzen Autos gehören weiß keiner, denn überfüllt von Menschen ist Homer nicht gerade. Dennoch gibt es in Homer ein paar nette Läden und eine sauteure, sauleckere Eisdiele. Noch am gleichen Tag verlassen wir Homer und machen uns auf den Weg nach Seward, einer kleinen Stadt weiter im Norden. Auf dem Weg dorthin überqueren wir den Kenai River, in dem ich einen stattlichen Rotlachs fange. Hier sind die Lachse noch gut essbar und das merkt man. An zwei verschiedenen Tagen essen wir den Lachs zu viert auf, der wunderbar schmeckt. Es ist gerade die Zeit der Rot-, Buckel- und Hundslachse. Die Königslachse sind schon durch und die Silberlachse kommen erst noch. Ein Fischzähler am Kenai River zählt, wie viele Lachse den Fluss hinaufschwimmen. Zu der Zeit zu der wir hier sind, schwimmen täglich zwischen 40.000 und 100.000 Rotlachse den Fluss hoch. Allein Rotlachse. Es ist kaum vorstellbar.

In Seward verbringen wir eine Nacht auf dem örtlichen Campingplatz, bummeln durch die Läden und planen ein bisschen zu dritt, was wir die zwei Wochen vor Samuels Rückreise machen, die wir ohne Elias verbringen werden. Ein Besuch des nahegelegenen Exit-Glaciers bleibt natürlich auch nicht aus. Gegen Abend kommen wir am Parkplatz an und spazieren bis zur Gletscherzunge. Auf dem Weg dorthin sind immer wieder Schilder mit Daten angebracht, die anzeigen, wo der Gletscher wann war. Es ist beeindruckend und erschreckend zugleich, wie schnell und wie weit der Gletscher die letzten Jahre und Jahrzehnte zurückging. Die Nacht verbringen wir in einem riesigen trockenen Flussbett. Wir essen, machen ein Feuer gigantischen Ausmaßes, an dem vor allem Elias und ich Freude haben und spielen dann Dog am Feuer, das wir Elias auf den Tisch gemalt haben. Als Spielfiguren dienen Steine und im amerikanischen Stil, Patronenhülsen, die man hier in Alaska beinahe überall finden kann. Ja, die Leute scheinen schon sehr schusswaffenaffin zu sein. Einmal sind wir durch den Wald auf einem Wanderweg gelaufen, da kam uns doch tatsächlich ein Mann in Tarnanzug mit Gewehr im Anschlag entgegen. Seine kleine, schätzungsweise fünf Jahre alte Tochter hinterher. Ein anderes mal, an einem Aussichtspunkt zu einem Wasserfall, war da ein Mann mit Familie, der eine Pistole um den Bauch trug. Und auf einem Camper haben wir ein Schild gesehen, auf dem stand: „Family on Board!“ Darunter ein großes Gewehr und daneben immer kleiner werdend drei weitere Schusswaffen. Ja, wir sind im Land der Waffennarren. Jedenfalls hatten wir noch einen schönen Abend zusammen.

Auf dem Weg nach Anchorage, wo sich unsere Wege trennen würden, machen wir noch für eine Nacht Halt am Portage Glacier bei Whittier. Während Samuel und Rebecca die Kleinstadt Whittier unsicher machen, fangen Elias und ich noch einen Silberlachs aus dem Meer, der zwar nicht ganz so gut ist, wie der Rotlachs, sich aber durchaus schmecken lässt. Das Frühstück am Morgen darauf machen wir nach einer kleinen Wanderung auf einem Aussichtspunkt, von wo man den Portage Gletscher aus sehen kann.

Wir verbringen dann nochmal eine Nacht zusammen in einem Flussbett und trennen uns etwa eine Stunde nördlich von Anchorage. Wir hatten zweieinhalb schöne und manchmal auch nicht ganz einfache Wochen zusammen auf der Straße und wir wünschen uns noch alles Gute. Elias bekommt jetzt Besuch von seinen Eltern und wir machen uns auf zum Denali-Nationalpark, wo wir im Hinterland wandern möchten. Dazu dann das nächste Mal mehr…

Liebe Grüße aus Alaska 🙂

Rebecca, Samuel und Johann

(Johann)

Ein Gedanke zu “Zweieinhalb Wochen zu viert

  1. eliasvetter 6. September 2019 / 7:30

    Sehr schön geschrieben. nur die Nordlichter hast du vergessen. Für mich eines der landschaftlichen Highlights auf der Kenaihalbinsel.
    Lieber Grüsse und eine schöne Zeit in Island

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